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Veröffentlicht in: Genealogie 48. Jg. (1999) 577-591

Die Entwicklung der Leipziger Zentralstelle von 1949 bis 1967.

Ein Beitrag zur Geschichte der Genealogie in der DDR.

  

Von Volkmar W e i s s

 

Zwischen dem 26.4.1950, dem Tag, an dem die „Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte, Leipzig“ „auf  Grund des Gesetzes über die Zusammenlegung der unter Verwaltung oder Aufsicht der Regierung stehenden Stiftungen vom 30.9.1949 in das Vermögen der Volksbildungsstiftung des Landes Sachsen ... eingegliedert wurde“ (1), und dem 1.8.1967, dem Tag, an dem der Direktor des Staatsarchivs Leipzig,  Dr. Karl Höhnel, der „Wache im Hause zur Kenntnisnahme und Beachtung“ mitteilte: „Die ‘Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte im Staatsarchiv Leipzig’ ist umbenannt in ‘Zentralstelle für Genealogie in der DDR’“ (2) liegen 17 Jahre einer schwierigen Existenz,  die Außenstehende zu der Meinung verführt haben, die Leipziger Zentralstelle sei in dieser Zeit gar nicht mehr vorhanden gewesen und Mitteldeutschland - aus genealogischer Sicht - zu einer „Wüste“ geworden. Dem steht z.B. die Feststellung der Mitgliederversammlung der „Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung“ im März 1969 in Marburg entgegen: „Einen breiten Raum nahm auch dieses Mal wieder die Diskussion um die ‘Zentralstelle für Genealogie’ in Leipzig ein. Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. ... Übereinstimmend wurde berichtet, daß der Ahnenlistenumlauf der früheren ASTAKA nach wie vor funktioniert. ... Es steht aber außer allem Zweifel, daß die Genealogie in Mitteldeutschland durchaus als salonfähig angesehen wird.“ (3) Was läßt sich zu diesen gegenteiligen Auffassungen nach der Durchsicht der Akten sagen?

 

Seit dem 8.4.1934 stand in der Satzung der Zentralstelle (genehmigt in Dresden am 27.6.1934 durch den Minister für Volksbildung): „§ 1. 1. Die Stiftung führt den Namen ‘Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte, Leipzig.’  2. Sie ist rechtsfähig und hat ihren Sitz in Leipzig.“ D.h., die Ortsbezeichnung „Leipzig“ war damit bereits Bestandteil des Namens der Stiftung. § 10. legte fest: „1. Der Stiftungsvorstand ist befugt, nach Gehör des Verwaltungsrats die Satzung mit Genehmigung des Ministeriums für Volksbildung zu ändern oder zu ergänzen. ... 2. Der Verwaltungsrat kann die Aufhebung der Stiftung beschließen. “  Die Verlagerung der Stiftung in eine andere Stadt war durch die Satzung nicht als eine Möglichkeit vorgesehen. Stiftungsaufsichtsbehörde 1. Instanz war der Stadtrat zu Leipzig, Stiftungsoberaufsichtsbehörde laut Satzung das Ministerium für Volksbildung des Landes Sachsen.

Nachdem die Stiftung auf diese Weise das Jahr 1945 erreicht und überlebt hatte (die Pressionen, denen die Zentralstelle von 1933 bis 1945 ausgesetzt war, müssen einmal gesondert dargestellt und gewertet werden), war die Satzung in mehreren Punkten nicht mehr zeitgemäß. So war z.B. ein Platz von fünf im Stiftungsvorstand für einen “Vertreter der Rassenkunde oder der Eugenik“ reserviert. Dieses Zugeständnis an den Zeitgeist war nach 1945 - in Ost und West gleichermaßen - kein ernstzunehmender Gegenstand mehr (4). Durch das Verbot aller bürgerlichen Vereine im Jahre 1945 in der sowjetisch besetzten Zone wurde das zwar in der Satzung  vorgesehene Zusammenwirken des „Vereins zur Erhaltung der Zentralstelle“ mit der Stiftung unmöglich, doch wurde die Existenz der Stiftung selbst davon in keiner Weise berührt, denn § 6 der Satzung sah diesen Fall, daß der Verein aufgelöst werden konnte (denn das drohte schon vor 1945), die Stiftung aber weiterbestand, sogar vor.

Da das Vermögen zahlreicher Stiftungen nach 1945, und insbesondere nach der Währungsreform, wertlos geworden war und die Stiftungen damit nicht mehr aus eigener Kraft handlungsfähig waren, sah das ganz vorn - im 1. Satz - zitierte Gesetz vom 30.9.1949 vor, diese Stiftungen in das Vermögen einer Sammelstiftung, im Falle der Zentralstelle in das der „Volksbildungsstiftung des Landes Sachsen“, einzugliedern. „Die vor rund einem halben Jahrhundert im damaligen Sachsen - als einzigem in der Sowjetischen Besatzungszone - erfolgte Bildung der Sammelstiftungen war keine neue und vor allem keine kommunistische Erfindung, sondern knüpfte an Vorbilder sowohl aus der sächsischen wie der reichsdeutschen Stiftungsgeschichte an. ... Bereits im Frühjahr 1947 hatte sich der erste aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangene Landtag des Landes Sachsen mit der Stiftungsproblematik befaßt. Die von den Diskussionsrednern vorgetragenen Gedanken über Mittel und Wege, mit deren Hilfe das schwer angeschlagene sächsische Stiftungswesen wenigstens einigermaßen am Leben und handlungsfähig gehalten werden könne, erinnerten an entsprechende Überlegungen aus der Zeit der Weimarer Republik. Wie rund zwei Jahrzehnte zuvor war das Instrumentarium der Stiftungszusammenlegungen als begehbarer Weg erschienen. Auch die Mitglieder und Abgeordneten der nichtkommunistischen Parteien entwickelten dementsprechende Vorstellungen; so sprach der führende Politiker der Christlich-Demokratischen Union Professor Hickmann davon, man solle ‘Stiftungsblöcke’ bilden. ... Am 29. 9.1949 verabschiedete dann eine qualifizierte, wenn auch knappe Mehrheit des Landtages des Landes Sachsen das Gesetz über die Zusammenlegung der in Frage kommenden Stiftungen“ (5a).

Aus der gegebenen Situation heraus handelt es sich um einen Rechtsakt, der auf dem Boden geltenden Rechts stand, denn das Volksbildungsministerium des Landes Sachsen war nun einmal zuständig. „Die Genehmigung einer Stiftung, die Umwandlung des Zwecks einer Stiftung sowie die Aufhebung einer Stiftung steht demjenigen Ministerium zu, das die Aufsicht führt“, schreibt J. Breit bereits Leipzig 1913 in seinen „Sächsischen Ausführungsbestimmungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch“, speziell hier zum § 87 des BGB, der das Recht staatlicher Organe, Stiftungen aufzuheben oder umzuwandeln, formuliert (zitiert nach 5a).

Es handelt sich bei diesem Schritt also nicht um die „Enteignung“ oder „Auflösung“ der Zentralstelle, wie das interpretiert worden ist.  Im Falle der Zentralstelle wartete man vermutlich den Tod Johannes Hohlfelds ab, ehe man,  fünf Tage danach -  am 26.4.1950 - das Gesetz wirksam werden ließ. Mit der Auflösung des Landes Sachsen ging 1952 die Stiftung Zentralstelle, deren Verwaltungsrat seit 1945 nicht mehr funktionsfähig war, in die Sammelstiftung des Rates des Bezirkes Leipzig - Volksbildungsstiftung  - über.

Wie stand es mit der Zentralstelle um diese Zeit? In einem Bombenangriff war 1943 ein Großteil ihrer gedruckten Publikationen verbrannt und damit die wichtigste Einnahmequelle verlorengegangen, die im Verkauf dieser Drucke bestanden hatte. 1950 hatte die Zentralstelle in Leipzig noch 65 zahlende Mitglieder. Seit dem 12.10.1949 fanden im Sitzungssaal der Deutschen Bücherei wieder regelmäßig einmal monatlich Arbeits- bzw. Vortragssitzungen statt. In einer Aufstellung vom 30.8.1954 (5b) sind bis dahin insgesamt insgesamt 34 derartige Sitzungen aufgeführt, viele davon mit sehr qualifizierten Referenten und Themen. Z.B. referierte Steinmüller am 20.2.1954 zum Thema „50 Jahre Zentralstelle“., am 24.4.1954 der Landesarchivar Dr. H. Schiekel zum Thema „Die berufliche und soziale Zusammensetzung und die Herkunft der Mitglieder des Banners der freiwilligen Sachsen 1813/14“ usw. Die Anwesenheitslisten der Sitzungen, die  1949 nie unter 15 Teilnehmer hatten, 1953 und 1954 dann schon wieder über 30 und 40, sind überliefert (5b). Insgesamt werden 103 Teilnehmer dieser Sitzungen genannt, darunter zahlreiche Namen, die in der mitteldeutschen Genealogie und Regionalgeschichte einen Klang haben, wie Dr. Hans-Joachim Kretschmar, Gerhard von Bose, Helga Moritz, Ernst Müller, Norbert Schaidl, Georg Kietz und A. Schlichter, aber auch Wissenschaftler wie Prof. Dr. Rudolph Zaunick (Wissenschaftsgeschichte, Halle/S.), Dr. Peter Feudell, Prof. Dr. Driesch und viele andere, von denen die damals Jüngeren dann 1967 (Zaunick als Gutachter zugunsten der Gründung der Zentralstelle für Genealogie in der DDR) oder 1979 bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaft in Leipzig wieder als erfahrene Genealogen dabei waren. Von einer Unterbrechung der Kontinuität der Arbeit der Leipziger Zentralstelle um 1950 kann also keine Rede sein.

Nachfolger von Johannes Hohlfeld war Dr. Karl Steinmüller. Da ihn die Zentralstelle aber nicht ernähren konnte, nahm er die Leitung der Zentralstelle nur ehrenamtlich wahr und war persönlich froh, als Stadtarchivar von Zwickau eine bezahlte Stellung zu haben. Am 4.11.1953 sendet er - mit dem Briefkopf der Leipziger Zentralstelle - einen Hilferuf an das Ministerium des Innern der DDR, Staatliche Archivverwaltung, z. H. Herrn Sachsenröder, und schreibt (Quelle wie 1): „... Der wesentliche Zweck des Institutes war schon von Anfang an nicht der eines die Sonderinteressen des Einzelnen fördernden Vereines von Familienforschern, sondern der, eine wissenschaftliche Anstalt gleichen Namens als Sammelpunkt und Vermittlungsstelle für die deutsche Familienforschung, in allen ihren Zweigen, zu unterhalten. So steht es in der Gründungsurkunde, ... . Es werden z.B. Auskünfte an Büchereien, Archive, Wissenschaftler erteilt, die von der Deutschen Bücherei ‘zuständigkeitshalber’ an die Zentralstelle gegeben werden. Selbstverständlich kommen die Anfragen auch direkt an uns. ... Solange freilich das Institut ohne wissenschaftliche Kraft existieren muß, kann eine ganze Reihe von Anfragen nicht in genügendem Maße beantwortet werden. In den Sammlungen ruht umfangreiches Forschungsmaterial, das die Grundlagen für manche sozial- oder wirtschaftsgeschichtliche Arbeit abgeben könnte, ... . Dieses Material ist in den letzten Jahren nur als ‘Zugang’ behandelt, also nicht erschlossen worden.  ... Bisher wurde diese Arbeit durch ‘Beiträge’ (Jahresbenutzerbeiträge für Bücherei) oder ‘Spenden’ ehemaliger Mitglieder ermöglicht. Diese Eingänge sind nun auf einen Grad geschrumpft, der es nicht mehr zuläßt, selbst bei Darbringung weiterer persönlicher Opfer der langjährigen Büroleiterin des Institutes und des derzeitigen Leiters, die Arbeit der Zentralstelle fortzusetzen.“ Im folgenden bittet Steinmüller dann erstens, „eine Besprechung herbeizuführen, in der geklärt wird, ob und unter welchem Status die Arbeit der Zentralstelle weitergeführt werden kann und soll,“ und zweitens um einen finanziellen Zuschuß, um den „Geschäftsbetrieb bis zu einer Neuregelung zu ermöglichen“.

Tatsächlich kommt mit diesem Vorstoß von Steinmüller Bewegung in die Sache - wenn auch langsam - und leitende Stellen in Berlin und Potsdam beginnen, über das Schicksal der Zentralstelle und der auf dem Boden der DDR befindlichen anderen genealogischen Bestände und Sammlungen nachzudenken. - Auch die Sammelstiftung, für die ein Herr Wietepsky zuständig war, fühlte sich mit der Aufsicht über die Zentralstelle überfordert und drängte ihrerseits andere staatliche Dienststellen zu einer Lösung. Das veranschaulicht ein Bericht (wie 1)  vom 22.3.1954 über eine Arbeitstagung der „Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte, Leipzig“  (völlig korrekt so bezeichnet)  zwei Tage früher: „... Zu den Organen (der Zentralstelle) gehört ein Arbeitskreis, der regelmäßig Arbeitstagungen abhält. Am Sonnabend ... hielt der Arbeitskreis wieder eine Tagung ab, von der die Rechtsstelle des Rates des Bezirkes Kenntnis erhalten hatte. Das Thema lautete: ‘Marx, Engels, Liebknecht - genealogisch gesehen’. Der Unterzeichnete nahm deshalb Veranlassung, in Begleitung der Kollegin Stephan die Veranstaltung zu besuchen. Der Referent war ein Herr Dr. Naumann, der ... an der Karl-Marx-Universität Vorlesungen über Chemie hält ... . Der Hauptteil seines Vortrages nahm die Darstellung der Abstammung von Karl Liebknecht ein, wobei es im wesentlichen darum ging, ob die Behauptung, daß Liebknecht blutsverwandt mit dem ‘Revolutionär’ Martin Luther gewesen sei, richtig ist. Er kam zu der Schlußfolgerung, daß diese Behauptung stimmt. Die Zuhörer, die sich ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen zusammensetzten, diskutierten anschließend ebenfalls auf dieser Grundlage. ... Die Rechtsstelle beim Rat des Bezirkes wird diese Veranstaltung neuerlich zur Veranlassung nehmen, um beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten die Frage zu klären, wie die Aufgaben dieser Stiftung ... von einer anderen geeigneten Stelle übernommen werden können. Es kann nicht angehen, daß sich bürgerliche Kreise auf diese unkontrollierbare und nebensächliche Weise mit den Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus beschäftigen ... . Darüber hinaus bietet das Aufgabengebiet der Zentralstelle feindlichen Elementen durchaus die Möglichkeit, von dieser Basis aus ihre feindliche Tätigkeit zu betreiben. gez. Wietepsky. Leiter der Rechtsstelle.“

Während alle herrschenden Eliten bis 1945 versucht hatten, ihrer Macht auch eine genealogische Legitimation zu geben, war mit der kommunistischen Elite eine Elite an die Macht gelangt, die ganz bewußt davon ausging, daß sie eine solche Legitimation nicht wollte und nicht nötig hatte. Während der Adel seinen Machtanspruch auf Abstammung gründete, war es beim Bürgertum eher die Vererbung der geistigen Voraussetzungen, von der man als gegeben ausging, und die Vererbung und Mehrung des Besitzes, auf die man Wert legte und die ihren Ausdruck dann in oft monumentalen gedruckten Firmen- und Familiengeschichten gefunden hat. Die ab 1933 herrschende Machtelite hatte bekanntlich versucht, aus „Blut und Boden“ die Legitimation eines „Neuadel“ mit arischer Abstammung abzuleiten (so ja auch der Titel von Darrés programmatischem Buch). 1945 aber begann die Herrschaft der Antithese und gefragt war höchstens noch der prolet-arische Großvater, mehr Genealogie aber möglichst nicht. (Daß sich diese Einstellung dann etwa um 1970 kräftig zu ändern begann, als die Kinder der nach 1945 in Machtstellungen Aufgerückten studierten, und man nachzudenken begann, ob es doch so  etwas wie eine Vererbung von Intelligenz und Persönlichkeitsmerkmalen geben könne, steht auf einem anderen Blatt.) Zu dieser im Grunde zutiefst genealogiefeindlichen politischen Umwelt kamen der Mangel an Papier und Kapital hinzu, die Zensur alles Gedruckten und die Angst vor jedem nichtüberwachten Gedanken, die alles zusammengenommen bewirkten, daß Genealogie schlecht gedeihen konnte. So schlecht, daß es demjenigen, der nur nach dem bedruckten Papier urteilt, tatsächlich scheinen muß, auf eine „Wüste“ mit wenigen vereinzelten Sträuchern zu blicken. Daß auch in und zuzeiten der DDR dennoch Hunderte von Ahnenlisten mit Maschine geschrieben worden sind und in Dutzenden von Kirchgemeinden die Familien aus den Quellen zusammengestellt bzw. verkartet worden sind, tritt erst bei Nachprüfung zutage und soll  an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt oder belegt werden. 

Zur „Baumsteppe mit einer nie völlig ausgetrockneten Oase in Leipzig“ wird die genealogische Landschaft der DDR aber dadurch, daß das wissenschaftliche Interesse an Genealogie niemals erloschen war und stets zugunsten der Zentralstelle ins Feld geführt werden konnte, bis 1950 allein schon ausreichend durch Hohlfeld als Persönlichkeit, später durch andere. Schon am 16.9.1954 hatte der damalige Leiter der Staatlichen Archivverwaltung, Otto Meier, an den Herrn Staatssekretär Hegen im Ministerium des Innern betreff „Übernahme der Zentralstelle ... „ geschrieben (wie 1): „... Aus der Tatsache, daß die Genealogie als Hilfswissenschaft von den Einzeldisziplinen (Wirtschaftsgeschichte, Bevölkerungsgeschichte, Biographie usw.) nicht entbehrt werden kann, daß ihre Methode ein unerlässliches Werkzeug bei der Herausarbeitung der Klassenlage einer Gesellschaft zu bestimmten Zeitpunkten des Geschichtsablaufes ist, ..., wird evident, daß die genealogischen Forschungsarbeiten nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Aufgaben der Zentralstelle weiterzuführen ist auch deshalb geboten, weil infolge des Brachliegens der wissenschaftlichen Arbeit eine Fortführung der Zentralstelle in Westdeutschland versucht wird.“ Schon in den nächsten Sätzen werden ab 1.1.1955 für den „Wissenschaftlichen Leiter“ der Zentralstelle eine Stelle mit Gehaltsgruppe I A, für einen Sachbearbeiter Gehaltsgruppe V gefordert. „Die Deutsche Bücherei ist mit der weiteren Benützung der bisherigen Räume einverstanden und bereit, nach Fertigstellung eines Anbaus weitere Räume zur Verfügung zu stellen.“

In den Akten (wie 1) findet sich mit Datum vom 24.12.1955 (Unterschrift: Hönel) über die Besichtigung der Zentralstelle eine Notiz, in der es u.a. heißt: „Mit dem Kollegen Wietepsky, der Leiter der Rechtsstelle des Rates des Bezirkes Leipzig und zugleich Vorstand der Sammelstiftung ist, habe ich besprochen, daß im Falle der Übernahme der Zentralstelle in das Aufgabenbereich der Staatlichen Archivverwaltung durch Beschluß des Vorstandes der Sammelstiftung dieses Vermögen dem Staat geschenkt wird. ... Die ... Bücher befinden sich nicht in der Zentralstelle, sondern sind durch einen Vertrag aus dem Jahre 1921 der Deutschen Bücherei in Leipzig übergeben worden. Auch alle nach 1921 bei der Zentralstelle eingegangenen oder in Regie der Zentralstelle gedruckten genealogischen Werke sind der Deutschen Bücherei übergeben worden. Als Gegenleistung erhielt und erhält die Zentralstelle noch heute freie Unterkunft, Licht und Heizung von der Deutschen Bücherei in Leipzig. ... Die bürotechnischen Arbeiten der Zentralstelle werden durch Frl. Grumpelt ausgeführt, die am 1. Januar 1956 32 Jahre im Dienst der Zentralstelle steht. ... Gegenwärtig wird eine Forschung mit den Materialien der Zentralstelle nicht durchgeführt, da es an den dafür notwendigen Historikern und genealogischen Fachleuten fehlt. Frl. Grumpelt erteilt lediglich aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen vertretbare Auskünfte. Diese Auskünfte erbringen Gebühr und von diesen Gebühren wird Frl. Grumpelt mit monatlich 200, - DM brutto vergütet.“ (Bis 1949 waren es 250, - DM gewesen.) Dann folgen Mitteilungen über vermutete Standorte anderer genealogischer Sammlungen (und zwar all die, die dann bis 1967 tatsächlich in der „Zentralstelle für Genealogie in der DDR“ zusammengeführt worden sind).

In den Akten finden wir auch einen „Bericht“ (wie 1) von Steinmüller an die Staatliche Archivverwaltung, z. Hd. von Herrn Sachsendörfer, datiert vom 9.10.1954 „über die Tagung der Arbeitsgemeinschaft der genealogischen Verbände in Deutschland ... am 13. September 1954 in Goslar“, in dem  wir lesen: „1.) Der jetzt 81jährige frühere Leipziger Rechtsanwalt ... hat, nachdem er im Jahre 1951 die Deutsche Demokratische Republik verlassen hatte, es für nötig befunden, in Berlin eine Zentralstelle aufzuziehen und sie in Zuschriften an viele, an den Fragen der Genealogie interessierten Stellen als alleinige, ‘berechtigte’ Nachfolgerin des ‘in Leipzig nicht mehr existierenden’ Institutes bezeichnet. Die Mittel zur Unterhaltung des Apparates (Leiter und Sekretärin, d.h. Herr Breymann und Tochter ...) flossen zunächst von privater Seite, später aus irgendeiner Kasse der Bundesrepublik. Einem der dort Verantwortlichen war aufgefallen, daß sowohl ‘Vorstand’, als ‘Vorsitzender des Verwaltungsrates’, als ‘Geschäftsführer’ der Zentralstelle (sämtlich alte Termini der Zentralstelle Leipzig) mit Breymann zeichneten. Dieses besonders bei einem Juristen eigenartig anmutende Zusammentreffen veranlaßt den Verantwortlichen der staatlichen Stelle, sich ein Bild über die Verwendung der Mittel zu verschaffen. Ergebnis: Es waren 10 000 M verbraucht worden, ohne daß nur in bescheidenster Weise die zugesicherte zweckgebundene Verwendung hätte nachgewiesen werden können. 10 000 M weitere Mittel wurden daraufhin gesperrt. ... Diese Vorgänge, die teilweise erst im Verlaufe der Tagung in den Einzelheiten bekannt wurden, erregten Wellen von Unmut und Entrüstung. Sie lasteten auf den Verhandlungen. ... Die Zentralstelle (West) erhält einen neuen Vorstand, der Verwaltungsrat wird reorganisiert. ... Mittel werden ‘erhofft’ vom Familienministerium! ... Eine Wirksamkeit in Richtung produktiver wissenschaftlicher Arbeit auf dem Gebiet der Genealogie ist von ihr (der Zentralstelle West) bis auf weiteres kaum zu erwarten.  2.) Die Familiengeschichtliche Bibliographie ist das wissenschaftlich anerkannte und wichtigste Publikationsobjekt der Zentralstelle Leipzig gewesen. Um ihre Fortführung wurde bereits auf dem Archivtag in Bremen gestritten. ... Praktische Weiterarbeit leistet z.Z. wohl nur der Kollege Schünemann von der Frankfurter Bibliothek. Ob die neue Zentralstelle West imstande sein wird, die Aufgabe wieder an sich zu ziehen und im notwendigen Maße zu fördern, bleibt abzuwarten.“

In einem weiteren Aktenvermerk des Ministeriums des Innern der DDR vom 8.11.1954 (Quelle wie 1) lesen wir: „Die Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte, die 1904 gegründet wurde in der Absicht, eine zentrale Sammel- und Vermittlungsstelle der genealogischen Forschungsergebnisse und genealogischen Literatur zu schaffen, hat im Laufe von nunmehr 50 Jahren insbesondere 1. das familiengeschichtliche Schrifttum laufend erfaßt und für die Auswertung vorbereitet; 2. ein großes Publikationswerk geschaffen (Bearbeitung und Herausgabe von 42 Jahrgängen der ‘Familiengeschichtlichen Blätter’, 59 Heften der ‘Mitteilungen der Zentralstelle’, 32 Heften ‘Flugschriften für Familiengeschichte’, 20 Bänden Forschungsergebnissen ‘Beiträge zur Deutschen Familiengeschichte’, 6 Bänden ‘Familiengeschichtliche Bibliographie’ u. a. m.“. Vor dem Kriege bestanden „die jährlichen druchschnittlichen Einnahmen aus folgenden Posten: ca. 30 000 RM aus dem Verkauf von Veröffentlichungen, ca. 5 500 RM aus den Beiträgen der Mitglieder, ca. 8 000 RM aus Forschungsaufträgen.“  Wie man aus derartigen Notizen ersehen kann, haben sich die staatlichen Stellen der DDR sehr gründlich sachkundig gemacht, ehe Entscheidungen getroffen worden sind. Am 12.3.1955 übergibt „Bernecker, Abteilungsleiter Planung und Finanzen im Ministerium des Innern“, Herrn Staatssekretär Hegen folgende Hausmitteilung „Betreff Zentralstelle ... „: „Zur Regelung dieser Angelegenheit schlage ich Ihnen vor: 1. Die Staatliche Archivverwaltung zu beauftragen, einen Präsidiumsbeschluß des Ministerrates für die Übernahme der zur Zeit bestehenden Zentralstelle ... auszuarbeiten.“ Es folgt dann noch der Vorschlag, die Vereinsarchive zu ermitteln und auch die Zuständigkeit für das in Dresden im Landeshauptarchiv (unter Kurt Wensch) befindliche Material (Ahnenstammkartei und Vereinsarchiv des „Roland“ zu klären). 

Am  26.6.1956 erteilt  Staatssekretär Hegen mit einer handschriftlichen Notiz (wie 1) endgültig grünes Licht für die Übernahme der Zentralstelle. Die Notiz ist auf eine an ihn von der Staatlichen Zentralverwaltung gerichtete Hausmitteilung vom 26.6.1956 (gez. In Vertretung des Leiters Dr. Höhnel) zu finden. Diese Mitteilung faßt noch einmal alle der Archivverwaltung bekannten Aufgaben der Zentralstelle zusammen und stellt aber dazu fest: „Diese Aufgaben der Zentralstelle beschränken sich seit 1945 auf die Erteilung von Auskünften; eine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit konnte in dieser Zeit nicht ausgeübt werden“. Um dem abzuhelfen, wird eine Stelle für „die wissenschaftliche Leitung der Zentralstelle ... , Vergütungsgruppe I A“, geschaffen.  

Von den zahlreichen Bemühungen, die von seiten der Wissenschaft, insbesondere der Wissenschaftsgeschichte, gemacht worden sind, die Zentralstelle zu erhalten und arbeitsfähig zu machen, und die uns nur mündlich überliefert sind, ist in den Akten (wie 1) nur ein Schreiben erhalten, datiert Dresden 24.7.1956, gerichtet an den Staatssekretariat für Hochschulwesen, z. H. von Herrn Kortum, betreff „Zentralstelle ...: Ich wurde mit einigen Fragen vertraut durch die nähere Bekanntschaft, die ich in der türkischen Emigration mit Professor Dr. Gerhard Kessler machte. Herr Kessler war vor 1933 Ordinarius für Sozialpolitik an der Leipziger Universität und gleichzeitig ehrenamtlich sehr eifrig an der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig tätig. In der Schriftenreihe dieser Zentralstelle ist auch Herr Kessler mit mehreren Beiträgen vertreten. Ich kenne beispielsweise eine Arbeit von Prof. Kessler über die Bedeutung der Familiengeschichte für die Wirtschaftsgeschichte. Von Prof. Kessler weiß ich auch, daß die Zentralstelle ... keine nazistische Schöpfung war. Dies kann ich um so mehr glauben, als Herr Kessler ein geradezu fanatischer Hasser des Nationalsozialismus war. Auch hat er von Dr. Joh. Hohlfeld, dem langjährigen Leiter der Zentralstelle, in persönlicher und politischer Hinsicht stets positiv gesprochen. Herr Dr. Hohlfeld war offensichtlich in der Nazizeit bestrebt, diese Zentralstelle von den rassistischen Machenschaften der Nazis freizuhalten. ... In der Tat halte ich es für die Dauer und auch im Hinblick auf die Einheit Deutschlands für nicht angängig, daß sowohl die bisherigen Materialien unausgewertet als auch nicht durch neue Sammeltätigkeit ergänzt werden. ... Ich halte diesen Zustand für unwürdig unseres Staates. ... Mir scheint es notwendig und wohl vom wissenschaftlichen als auch materiellen Ertrag aus betrachtet für zweckmäßig, die früher von der Zentralstelle herausgegebene ‘Familiengeschichtliche Bibliographie’ wieder fortzusetzen. ... (Es) handelte sich hier um eine Unternehmung, die sich selbst finanzierte. ... Ich glaube, daß ... die hiesige Zentralstelle ... wieder das werden kann, was sie einmal war, nämlich deutscher Mittelpunkt für dieses spezielle Forschungsgebiet, das ja relativ breite Kreise des Bürgertums und Kleinbürgertums interessiert.  - Viel mehr interessiert, als wir gemeinhin annehmen. ... Im ganzen bin ich jedenfalls entschieden ... für eine baldige Reaktivierung der Zentralstelle ... . gez. Prof. Dr. Ernst Engelberg, Direktor.“ (Unterstreichungen wie im Original.)

 

Mit Datum 4.12.1956 finden wir in den Akten (wie 1) die  „Erklärung“ (wie 1) „des Stiftungsvorstandes der Volksbildungsstiftung des Bezirkes Leipzig“ (gez. Girndt. Sekretär des Rates des Bezirkes. Wietepsky. Justitiar.) in der diese Stiftung die „Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte“ dem „Ministerium des Innern, Staatliche Archivverwaltung“, schenkt, das diese Schenkung annimmt (gez. Dr. Höhnel).

Am 5.11.1956 (wie 1) war Dr. Karl Steinmüller die wissenschaftliche Leitung der Zentralstelle angeboten worden. Zu dieser Zeit liegt aber bereits auch die Bewerbung von Waldemar Schupp vor, der die Stelle dann auch erhalten und am 1.4.1957 angetreten hat, nachdem die Zentralstelle am 1.2.1957 (wie 1) der Staatlichen Archivverwaltung unterstellt worden war und im Herbst schon 4 bezahlte Stellen hatte.

Da es in der Staatlichen Archivverwaltung der DDR keine ausgewiesenen Fachleute für Genealogie gab, erhielten sowohl  Schupp als auch dann 1967 wieder Gottfried Keßler den Auftrag, den Arbeitsinhalt der Zentralstelle entsprechend der Tradition und den neuen Gegebenheiten selbst zu bestimmen und dementsprechende Papiere vorzulegen. Schupp referierte am 26.10.1957 im Sitzungssaal der Deutschen Bücherei zum Thema „Die Arbeit der Zentralstelle und ihre künftigen Aufgaben. Anschliessend Aussprache über die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft“  vor dem seit 1949 (siehe vorn) wieder aktivem Arbeitskreis Genealogie. In seinem „Tätigkeitsbericht“ über das Jahr 1957 teilte Schupp mit (wie 1): „Der Arbeitskreis, bestehend aus ca. 20 Teilnehmern, tritt wie bereits erwähnt, monatlich zusammen und befasst sich mit speziellen genealogischen Problemen.“

Auch Steinmüller (mit Datum 20.1.1957, Quelle wie 1) gab der Archivverwaltung seitenlange gute Ratschläge. Man kann z.B. lesen: „Eine Hauptaufgabe der Zentralstelle Leipzig, deren Durchführung und Ergebnis bis 1950 das Ansehen der Leipziger Einrichtung in den Kreisen der Wissenschaften befestigte, war die Familiengeschichtliche Bibliographie. An ihrer Weiterführung durch die Zentralstelle Leipzig hat die Deutsche Bücherei großes Interesse. Zur Zeit freilich sind wir in der Deutschen Demokratischen Republik nicht imstande, diese Arbeit selbständig zu übernehmen, da das familiengeschichtliche Schrifttum überwiegend in der Bundesrepublik und im deutschsprachigen Auslande erscheint. Trotzdem sollte mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt ... Verbindung gesucht werden, um zu einer Gemeinschaftsarbeit zu kommen. ... Im Laufe der Jahre hat das organisatorische Leben der Zentralstelle Leipzig die Formen des ‘Verwaltungsrates’ und des ‘Kreises der Korrespondierenden Mitglieder’ herausgebildet. Es sollte erwogen werden, einen solchen Kreis beratender Fachleute neben die neue Zentralstelle Leipzig zu stellen.“

Am 20.6.1957 (wie 1) macht Schupp der Staatlichen Archivverwaltung erste Vorschläge „für den Beirat der Zentralstelle ...“ und nennt u.a. Prof. Dr. Hellmut Kretzschmar (Dresden), Dr. Wolfgang Huschke (damals Weimar) und Dr. Erich Neuss (Halle). Am 7. und 8.9.1957 darf Schupp an der „Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände“ in Koblenz teilnehmen, und er berichtet  (wie 1) darüber seinen Vorgesetzten: „Aus der DDR waren Herr Wensch für die Ahnenstammkartei Dresden und meine Person für die Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte Leipzig anwesend. Beide Institute werden als Mitglieder geführt.“ Dann berichtet Schupp über den Überblick, den Friederichs über den Stand der Arbeit an den Ortssippenbüchern gab. „Unter Punkt Verschiedenes kam auch die Fortsetzung der Familiengeschichtlichen Bibliographie zur Sprache. Darüber entspann sich eine sehr lebhafte Debatte. Die Herren Wensch ... und Mitgau sprachen sich für die Fortsetzung durch die Zentralstelle in Leipzig aus. Dagegen traten die Vertreter des Vereins der Zentralstelle West und des Herold in Westberlin auf. ... Ich mußte die Ansprüche der Zentralstelle West zurückweisen, deren Existenz ja sowieso der rechtlichen Grundlage entbehrt, da die Zentralstelle Leipzig als Stiftung bis zur Übernahme durch die Staatliche Archivverwaltung bestanden hat. ... Das Erscheinen meiner Person, als Vertreter der Zentralstelle in Leipzig, in Koblenz bewirkte, daß die Herren der Zentralstelle West ... eine ‘Mitgliederversammlung’ durchführten, in der es um nicht mehr und nicht weniger ging, als um die Frage des Aufhörens oder Weiterexistierens. ... Dieser Verein in Westdeutschland verfügt kaum über mehr als 20 Mitglieder. ... Anlagen: Reisekostenabrechnung.“

Später war Schupp daran beteiligt, daß die Leipziger Zentralstelle bis 1991 die Mitgliedschaft in der DAGV und damit ein wichtiges Argument gegenüber dem Alleinvertretungsanspruch der Zentralstelle West selbst aufgegeben hat, heißt es doch in einer Stellungnahme vom 19.5.1960: „Das Arbeitskollektiv Personalschriftenkatalog Dresden ist stimmberechtigtes Mitglied der ‘Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände’. Die Bezeichnung gesamtdeutsche Organisation müssen wir ablehnen, da wir als politisch selbständiger Staat auf allen ... Gebieten eigene Organisationen geschaffen haben bzw. noch schaffen müssen, um uns auch auf diesem Sektor international von Westdeutschland unabhängig zu machen. Ich bin deshalb der Meinung, daß auch die Stammkartei als staatliche Institution, ebenso wie ich dies für die Zentralstelle in Leipzig bei den Tagungen der DAG vertreten habe, nicht mehr stimmberechtigtes Mitglied der DAG sein kann. ... Eine sehr bedenkliche Einrichtung sehe ich in der weiteren Existenz der Zweigstelle Göttingen der Ahnenstammkartei. Wir können kaum eine derartige Zweigstelle einer staatlichen Institution der DDR unter westdeutscher Leitung akzeptieren. Natürlich dürfte eine schroffe Ablehnung eine Spaltung, wie dies für die Zentralstelle in Leipzig zu verzeichnen ist, nach sich ziehen.“ Man muß allerdings hinzufügen, daß Schupp in diesen Sätzen nur die offizielle politische Linie dieser Zeit umsetzte, und es dürfte für ihn in diesem Punkte überhaupt keinen Handlungsspielraum gegeben haben.

 

In den nächsten Jahren sind in den Akten zielstrebige und langwierige Bemühungen der Staatlichen Archivverwaltung belegt, verschiedene Sammlungen der Zentralstelle zuzuführen, wobei stets der Name Höhnel auftaucht.

In Potsdam bestand 1957 das „Deutsche Zentralarchiv“, das auch das „Deutsche Zentralarchiv für Genealogie“ in Berlin (Ost) mit aufgenommen hatte und das vor allem Sammlungen des früheren Reichssippenamtes umfaßte. 1945 befanden sich große Teile der Sammlungen dieses Amtes auf dem Gebiete der sowjetischen Besatzungszone, zum Teil versteckt in Salzbergwerken. Kenntnis davon hatte Paul Langheinrich, Mitglied der Kirchen Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Mit Datum, Berlin, 1.8.1950 beschwert sich Langheinrich beim Ministerium des Innern der DDR (5): „Am 16. August 1945 erhielt ich auf mein Schreiben vom 9.8.45 an die SMA die Antwort von Herrn Marschall Sokolowskij und damit die Vollmacht, nach dem Nachlass des ehem. Reichssippenamtes usw. zu suchen und die Bestände, wenn ich sie finden würde, in Besitz zu nehmen. ... Es wurde ... vereinbart , daß alle Bestände unter meiner Leitung bestehen bleiben würden. ... Nach meinen letzten Erfahrungen laufen die Dinge zur Zeit in eine ganz andere Richtung ... .“ Die Geschäftspraktiken des sehr umtriebigen Mannes waren einigen DDR-Verantwortlichen ein Dorn im Auge. So schreibt der Abteilungsleiter des Ministeriums für Volksbildung der DDR am 5.2.1951 (wie 5): „Das Deutsche Zentralarchiv für Genealogie befindet sich im Gebäude der Öffentlich-Wissenschaftlichen Bibliothek und war, ehe es dem Ministerium des Innern unterstellt wurde, eine nachgeordnete Dienststelle des Ministeriums für Volksbildung. Auf Grund der eigenartigen Entstehungsgeschichte, der zuletzt geübten Geschäftspraktiken und der unklaren Haltung des Leiters des Instituts war das Ministerium für Volksbildung im Begriff, das Deutsche Zentralinstitut für Genealogie zu schließen; aber auf Grund der Übernahme durch das Ministerium des Innern unterblieb es.“ Da man in der Öffentlichen Bibliothek in Berlin, Charlottenstr. 39, wo das Zentralarchiv untergekommen ist, Raum für andere Einrichtungen braucht, werden Langheinrich und die 12 Mitarbeiter (sic) seines auch als Bildstelle arbeitenden Archivs schikaniert, was unter den gegebenen Umständen nicht schwer war: „Bei der vorjährigen Kassenprüfung gab er zu, Arbeiten für Westberliner Dienststellen und Bewohner der Westsektoren gegen DM ausgeführt zu haben. ... Langheinrich ist Mitglied der Sekte der Mormonen und war bis in das Jahr 1950 in der engeren Führung der Berliner Gruppe, die ... mit Care-Paketen unterstützt worden ist. ... Welche Bindungen oder Beziehungen er in seinem Westsektorwohnsitz sonst noch hat, ist nicht bekannt.“ (so geschrieben Potsdam, 31.4.1951, gez. Name unleserlich). Am 19.5.1953 macht man ihm seinen Laden dicht, und sein Archiv wird nach Potsdam überführt  (nach 1962 in die Leipziger  Zentralstelle). Vergeblich hatte Langheinrich noch einmal am 15.6.1953 (wie 6) protestiert: „Er bezeichnete ... das Verfahren der nach heimlicher Vorbereitung plötzlich durchgeführten Wegnahme derselben als eine Vergewaltigung. ... Für die Art des Verfahrens gegen ihn spreche u.a. die Äußerung des Koll. Dr. Höhnel von der Staatlichen Archivverwaltung, ... daß es nun endlich soweit sei, daß ihm, Langheinrich, die Bildstelle abgenommen werde.“ (Vgl. auch 7) - Im Juli 1965 wurden die von Langheinrich gesammelten Unterlagen des ehemaligen Reichssippenamtes von Potsdam nach Leipzig transportiert und der Zentralstelle angegliedert.

Am 6.3.1957 (Aktenvermerk in 1) hat Höhnel im Landeshauptarchiv Dresden erstmals mit Wensch über die dortigen genealogischen Sammlungen gesprochen. „Bei Aktivierung der Zentralstelle wird der o.g. Bestand zu übernehmen sein und evtl. den Charakter einer Außenstelle nehmen“, vermerkt Höhnel.  Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, den Direktor des Sächsischen Landeshauptarchivs, Dr. Schlechte, zu gewinnen. Tatsächlich richtet dieser am 13.4.1960 auf 5 Seiten (wie 1) „Praktische Vorschläge für die Umwandlung der ‘Ahnenstammkartei’ und des ‘Personalschriftenkatalogs’ in ein staatlich geleitetes Institut“ an die Staatliche Archivverwaltung in Potsdam. „Um die organisatorische Zusammenfassung der in der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden genealogischen Einrichtungen zu erreichen, werden die im Sächsischen Landeshauptarchiv Dresden untergebrachten beiden Sammlungen künftig unter der Bezeichnung: ‘Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte - Abt. Stammkartei Dresden -’  geführt und ... - entsprechend ... Leipzig - der Staatlichen Archivverwaltung unmittelbar unterstellt.“ 1967 kamen diese Dresdener Unterlagen dann nach Leipzig, und mit ihnen kam Kurt Wensch als außerordentlich erfahrener Mitarbeiter an die Zentralstelle.

Von Interesse für den Historiker ist aber auch, was Schlechte zum Ahnenlistenumlauf sagt: „Finanzexperten aus dem westlichen Benutzerkreise machten seinerzeit darauf aufmerksam, daß es besonders für alle Interessenten in beamteter Stellung zu Schwierigkeiten führen müsse, wenn sie von einer Einrichtung aus der DDR Aufforderung zu regelmäßigen Zahlungen erhielten. Die politische Entwicklung hat seither dazu geführt, daß dieser Gesichtspunkt für die überwiegende Mehrheit aller Westbenutzer zutrifft, und es wurde nahegelegt, eine andere Regelung zu treffen, da weitere Teilnahme bzw. Mitarbeit sonst abgelehnt werden müsse. Deshalb wurde der Ausweg gewählt, eine Art selbständige Zweigstelle für den Westen zu schaffen, von der die Benutzer geworben und betreut werden. Unter der Bezeichnung ‘Ahnenstammkartei Göttingen’ hat sie seither diese Aufgabe durchgeführt, gleichzeitig als selbständiges Mitglied in den beiden wichtigen Fachgremien ‘Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände und Institute’ und ‘Gesamtverein deutscher Geschichts- und Altertumsvereine’ unsere Belange vertreten. Die Leitung der Göttinger Stelle übernahm der in Fachkreisen bekannte Soziologe Dr. H. Mitgau, Professor ...  in Göttingen, zusammen mit anderen namhaften Genealogen, wie F. W.  Euler in Bensheim. ... Die genannten Persönlichkeiten - seit Jahrzehnten an der Ahnenstammkartei und deren Gedeihen interessiert - bieten jede Gewähr dafür, daß die aus Teilnehmergebühren aufkommenden Gelder ... restlos zugunsten der Dresdener Sammlungen verwendet werden. Eine Änderung dieses Zustandes, dessen Vorteile ausschließlich auf Seiten der DDR liegen, erscheint ohne schwerste Schädigung des ganzen Apparates und des Materialzuflusses nicht angängig. ... Die Gesamtzahl der auf diese Weise (mit diesen Einnahmen) in den letzten Jahren bezogenen wissenschaftlichen Werke usw. beträgt schätzungsweise über 1 000 Stück.“

 

Nach wie vor war aber auch die „Deutsche Bücherei Leipzig, Gesamtarchiv des deutschsprachigen Schrifttums“ an der Zentralstelle interessiert. Schon am 4.2.1957 schreibt (wie 1) der Hauptdirektor der Bücherei, Fleischhack,  an die Staatliche Archivverwaltung in Potsdam: „Da die Zentralstelle als solche nicht mehr selbständig ist, muß der seinerzeit abgeschlossene Vertrag nun wohl mit Ihrer Dienststelle als dem jetzigen Rechtsträger erneuert werden.“ Worum ging es? Als die Zentralstelle in den Inflationsjahren in große Schwierigkeiten geraten war, fand sich ein Kreis weitsichtiger Persönlichkeiten, unter denen der Verleger Degener eine besonders segensreiche Rolle spielte, der Verbindung mit den für die  Deutsche Bücherei verantwortlichen Personen aufnahm und am 22.6.1921 einen Vertrag abschloß, der die Existenz und das Gedeihen der Zentralstelle auf Jahrzehnte hinaus sicherte. Die ursprüngliche freiwillige Verpflichtung der Deutschen Bücherei, das deutschsprachige Schrifttum vollständig zu sammeln, ist bekanntlich später in einen gesetzlichen Auftrag umgewandelt worden, der ihr (bzw. heute der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main mit ihrer Zweigstelle in Leipzig) die notwendige finanzielle Unterstützung des Staates sichert. Da schon sehr zeitig erkennbar war, daß die Deutsche Bücherei bei der möglichst vollständigen Sammlung des familiengeschichtlichen Schrifttums große Schwierigkeiten hat, war es ein sehr weitsichtiger und geschickter Schritt, die Zentralstelle auf diese Weise mit der Deutschen Bücherei zu verbinden. In § 1 des Vertrages heißt es deshalb: „Die Deutsche Bücherei ... und die Zentralstelle ... schließen einen Vertrag ab mit dem Ziele, das gesamte in deutscher Sprache, in Sonderheit auch das unter Ausschluß des Buchhandels als Privatdruck erscheinende familiengeschichtliche Schrifttum bei der Deutschen Bücherei zu sammeln.“ In § 2: „Die Zentralstelle überläßt ihre gesamte Bücherei im heutigen Zustande und Umfang der Deutschen Bücherei zum Eigentum und verpflichtet sich auch für die Zukunft, alle ihr zugehenden Druckschriften der Deutschen Bücherei zum Eigentum zu überweisen.“ Als Gegenleistung übernahm die Deutsche Bücherei, wie schon vorn zitiert, die Betriebskosten der Zentralstelle. „§ 7 Der Vertrag ist beiderseits unkündbar.“ (Das bedeutet z.B.: Wenn die Zentralstelle West Rechtsnachfolger der Zentralstelle Leipzig bzw. mit ihr identisch wäre, dann könnte sie auch die Nachfolge in diesem Vertrag gegenüber dem anderen Rechtsnachfolger, der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main,  beanspruchen!) Wichtig ist aber für die Einschätzung der Vorgänge des Jahres 1962 der § 8: „Sollten die Leistungen der Deutschen Bücherei, welche diese im vorliegenden Vertrage der Zentralstelle als Gegenwert für die von ihr der Deutschen Bücherei überlassenen Bücherei und Folgeerwerbungen zugesichert hat, in Wegfall kommen oder eingeschränkt werden, so erwächst der Zentralstelle der Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums der durch diesen Vertrag der Deutschen Bücherei übereigneten Bücher und an den später der Deutschen Bücherei durch sie zugeführten Druckschriften ....“

„Als die Deutsche Bücherei vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler gegründet wurde, stand mit diesem von vornherein eine Organisation zur Erfassung der im Buchhandel erscheinenden Veröffentlichungen zur Verfügung. ... Es blieb der Deutschen Bücherei überlassen, Mittel und Wege zur Sammlung des privaten Schrifttums zu finden. Es war sowohl für die bibliothekarische wie für die buchhändlerische Welt eine Überraschung, aus der Beschaffungsarbeit der Deutschen Bücherei ... zu erfahren, daß die außerhalb des Buchhandels erscheinenden Drucke zahlenmäßig die im regulären Buchhandel erscheinenden Drucke nahezu erreichten. ... Innerhalb des privaten Schrifttums hob sich aber eine Gruppe noch besonders heraus, deren Erfassung auf besondere Schwierigkeiten stieß ...: es war das genealogische Schrifttum. ...  Die am 16.2.1904 ...  gegründete ‘Zentralstelle ...‘ hatte es sich schon fast 2 Jahrzehnte zur satzungsgemäßen Aufgabe gemacht, diese Organisationen (die genealogischen Vereine und Familienverbände) zu erfassen und ihre Veröffentlichungen aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet systematisch zu sammeln. Sie hatte eine ca. 20 000 Bände umfassende Bibliothek zusammengebracht und in ihren  Mitteilungen’ mit der bibliographischen Verzeichnung des genealogischen Schrifttums begonnen. Auf ihre Tätigkeit aufmerksam geworden, begann bereits im Sommer 1920 der damalige Direktor der Deutschen Bücherei, Prof. Minde-Pouet, nach einer Besichtigung der Zentralstelle ... mit derem Vereinsvorstand in Verhandlungen einzutreten,“ schreibt (8) Johannes Hohlfeld 1949 im Rückblick. „Die Erfassung des familiengeschichtlichen Schrifttums erfolgte in enger und erfolgreicher Zusammenarbeit mit der Beschaffungsabteilung der Deutschen Bücherei. ... Soweit Belegstücke nicht unmittelbar an die Deutsche Bücherei eingingen, erhielt solche die Zentralstelle zur Bekanntgabe in ihrer ‘Familiengeschichtlichen Bibliographie’ oder zur Besprechung in den ‘Familiengeschichtlichen Blättern’. Die nicht unaufgefordert eingehenden Veröffentlichungen wurden im gegenseitigen Einvernehmen ... erbeten.“ Hohlfeld spricht von annähernd 20 000 Bänden, die ab 1921 erschienen, gesammelt, bibliographisch erschlossen und von der Zentralstelle der Deutschen Bücherei „zur Verfügung  gestellt“ worden sind.

 

Erst einmal war deshalb keine Rede davon, daß die Deutsche Bücherei ihre Leistungen einstellen würde, im Gegenteil. Am 19.12.1957 hatte Höhnel (Quelle wie 1)  eine „längere Aussprache mit Direktor Fleischhack, Direktor der Deutschen Bücherei, mit folgendem Resultat: 1. Direktor Fleischhack hat sich prinzipiell einverstanden erklärt, die Zentralstelle als Teil der Deutschen Bücherei unter der Voraussetzung zu übernehmen, daß damit die beiden Planstellen (I A und VI) samt Mittel übergeben werden.“ Dieses Vorhaben dürfte aber dann an dem Staatssekretariat für Hochschulwesen, dem die Deutsche Bücherei unterstand, gescheitert sein. In der Folgezeit geriet die Deutsche Bücherei, da die notwendigen Erweiterungsbauten immer weiter verzögert wurden, in Raumschwierigkeiten und begann darauf zu drängen, daß die Zentralstelle auszog. Am 24.5.1962 (wie 1) wurden die notwendigen Auszugsformalitäten zwischen der Staatlichen Archivverwaltung, vertreten durch „Dr. Höhnel, Leiter des Landesarchivs Leipzig“ und der Deutschen Bücherei besprochen und geregelt. Da keinerlei Arbeitskapazität bestand, die Bücher der Zentralstelle aus der Deutschen Bücherei auszugliedern, und auch beim Archivwesen daran kein Interesse - beides waren ja 1962 staatliche Einrichtungen, wurde festgelegt: „Für die nach 1913 erschienenen und bis heute der Deutschen Bücherei übergebenen familiengeschichtlichen Monographien und Zeitschriften besteht Übereinstimmung, daß diese im Eigentum der Deutschen Bücherei verbleiben.“ D.h., es wurde nicht nach § 8 des „unlösbaren“ Vertrages verfahren, aber auch ohne daß die Zentralstelle für ihren Verzicht irgendein Äquivalent erhielt.“ (Schupp als Leiter der Zentralstelle war bei diesen Verhandlungen nicht anwesend.)

Am 5.12.1962 teilt Dr. Höhnel in einem Rundschreiben (wie 1) mit dem Briefkopf „Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte“ mit: „Wir gestatten uns zur gefl. Kenntnis zu bringen, daß die Zentralstelle ... ihren Dienstsitz ab 6.12.1962 nach Leipzig C 1, Georgi-Dimitroff-Platz 1, (verlegt hat.) Wir bitten ... die Verbindung wie bisher zu pflegen.“ Die Zentralstelle versuchte auch noch, das Recht auf Pflichtexemplare, das sie im Auftrage der Deutschen Bücherei wahrgenommen hatte, trotz der Trennung fortzuerhalten, denn es heißt: „Institutionen, Vereine und Einzelpersonen, die der Zentralstelle entgegenkommenderweise bisher ihre Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt haben,  bitten wir noch folgendes zur Kenntnis zu nehmen: ... Durch die räumliche Trennung ist das nicht mehr möglich, weshalb die Deutsche Bücherei an Sie mit der Bitte herantreten wird, ihr ein 2. Exemplar zu überlassen. Wir würden uns freuen, wenn Sie dieser Bitte, ohne damit das Prioritätsrecht der Zentralstelle zu berühren, stattgeben könnten.“

 

In einer Aktennotiz vom 19.12.1966 (wie 1), „Gen. Wendt zur Erledigung“ lesen wir dann: „Die Genealogische Sammlung ist in Leipzig zu konzentrieren. Es sind dafür 5 Planstellen genehmigt, 4 sind neu beantragt, 1 wird aus dem Staatsarchiv Leipzig genommen. Die Genealogische Sammlung wird der Abteilung Auswertung unterstellt. Dem MdI ist eine Ordnung über die Aufgaben, Stellung und Verantwortung der Dienststelle vorzulegen.“ Diese Aufgaben hatte dann 1967 der junge Gottfried Keßler, als er seinen Dienst als neuer Leiter antrat. (Von denen im Juli 1965 in einer Aktennotiz (gez. Dr. Höhnel) genannten Mitarbeitern der „Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschicht“ Fiechtner, Piersig, Kircheisen, Krüber war Erhard Piersig nicht als Leiter in Frage gekommen, da er parteilos war, und er wurde später Leiter  des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin.)

 

Wie sich die Arbeit der Zentralstelle dann im Zeitraum 1967 bis 1990 gestaltet hat und die Entwicklung der Genealogie in der DDR insgesamt, wird - in gehörigem Zeitabstand und wieder unter der selbstverständlichen Hinzuziehung der archivalischen Quellen - einmal einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Nur so viel sei gesagt, daß sich die Zentralstelle seit 1967, ergänzt durch Ahnenstammkartei und Reichssippenamt-Verfilmungen - wie schon ab 1945 aus der Not entstanden - stärker zu einem Auskunftsbüro, vor allem gegen westliche Devisen, entwickelte und nicht mehr an die bibliographischen Aufgabenstellungen vor 1945 anknüpfen konnte. Das wurde erst ab 1991 mit der Erfassung und Sammlung der inzwischen gewaltig angewachsenen Zahl der Ortsfamilienbücher für ein Teilgebiet des genealogischen Schrifttums wieder versucht (9). So stellt sich, abschließend zusammengefaßt, die Zeit von 1945 bis 1967 in der Existenz der Leipziger Zentralstelle als ein Übergangszeitraum dar (10).

 

Wenn sich manchen die Geschichte auch als ein Prozeß darstellen mag, der durch Gesetze und Verordnungen, die man nur zu befolgen hat, ausreichend geregelt und beschreibbar ist, so wird aus unseren, mit archivalischen Quellen belegten, Ausführungen doch deutlich, daß es stets und auch in einem totalitären System beträchtliche Handlungsspielräume für die agierenden Personen gegeben hat und damit stets verschiedene Ergebnisse möglich sind. Das deutlich zu machen, ist eine Aufgabe von Geschichtsschreibung. Ohne das hintergründige Wirken von Dr. Karl Höhnel hätte es ab 1967 eine „Zentralstelle für Genealogie in der DDR“ als selbständige Einrichung wohl kaum gegeben. Der Verfasser erinnert sich persönlich, daß der hochbetagte Herr auch 1979 bei der Gründungsversammlung der Leipziger Kulturbund-Arbeitsgemeinschaft Genealogie (aus der 1991 die Leipziger Genealogische Gesellschaft hervorgegangen ist) anwesend war und seinen Segen für die weitere Arbeit, an der er dann altershalber selbst nicht mehr teilnehmen konnte, einbrachte. Ihm ging es offensichtlich primär stets um die Sache und nicht um seine Person.

Wer aber war Karl Höhnel? Sein Vorgesetzter, der wegen „Revisionismus“ in die Staatliche Archivverwaltung versetzte Karl Schirdewan, schreibt über ihn in seinen Memoiren (11) : „Mein Stellvertreter nannte sich Höhnel. Um seine Herkunft spann sich lange Zeit ein Schleier von Unklarheiten. Bekannt war nur, daß er im ehemaligen Sudetengebiet im Bankwesen beschäftigt war. Dabei ließen es die Sicherheitsverantwortlichen jedoch nicht beruhen. Gemeinsam mit zuständigen tschechoslowakischen Stellen forscht man nach. Es stellte sich heraus, daß er sich den deutschklingenden Namen Höhnel gewissermaßen von der Verwandtschaft ausgeborgt hatte, um seine frühere Tätigkeit als bei den Nazis organisierter Direktor einer kleinen Sparkasse zu tarnen. Dabei hatter er außer der aktiven Mitarbeit im Nazi-Bienenzüchterverband nichts ‘Gefährliches’ in seiner Biographie aufzuweisen. Es geschah ihm nichts, aber als Stellvertretender Leiter der Archivverwaltung war er dennoch untragbar. ... Er übernahm in Leipzig die Leitung des dortigen Landesarchivs, mit dem die deutsche Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte verbunden war. Nach seiner Pensionierung beschäftigte er sich weiterhin und bis zu seinem Tode mit der Personen- und Familiengeschichte.“

 

Anmerkungen:

 

(1) Bundesarchiv, Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten, Bestand DO1 22.0., Akte 837, nicht paginiert.

 

(2) Deutsche Zentralstelle für Genealogie, Leipzig, 497 NA, Nr. 39 (Mappe: Organisation und Aufbau der Zentralstelle nach Übernahme der Dresdener Bestände 1967).

 

(3) Vereinsmitteilung Nr. 24 (2/69), Mai 1969, der Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung. S. 6-7.

 

(4) Auch die Stiftung Zentralstelle mit Sitz in Berlin (West) hatte selbstverständlich ab 1954 eine neue Satzung.

 

(5a) Dietrich, Dieter: Die Deutsche Buchkunststiftung 1927-1957. Ein Beitrag zur Buch- und Stiftungsgeschichte. Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 8 (1998) 135-163.

 

(5b) Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Abt. Deutsche Zentralstelle für Genealogie, NA alte Zentralstelle, Mappe 21.

 

(6) Bundesarchiv, Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten, Bestand DO1 22.0., Akte 196, nicht paginiert.

 

(7) Korb, Gerhard: Fundgruben-Nachrichten 32 (1971) S. 3-5.

 

(8) Hohlfeld, Johannes: Die Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte und die Deutsche Bücherei. Beitrag für die ungedruckt gebliebene Festschrift für Heinrich Uhlendahl: „Die Deutsche Bücherei 1925-1949“. Manuskript (Maschinenschrift). 5 S. 1949 (auch in 1 enthalten).

 

(9) Weiss, Volkmar und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. Neustadt/Aisch: Degener 1996 (= Genealogische Informationen 28).

 

(10) Da in der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 nicht alle Rechtsakte von 1933 bis 1945 und in der DDR bis 1990 von vornherein als Unrecht gewertet werden, so erscheint es - angesichts der hier angesprochenen Aktenlage - als durchaus offen, ob ein Alleinvertretungsanspruch einer der beiden seit 1990 bestehenden Zentralstellen aufrechterhalten werden kann und die eine tatsächlich die Rechtsnachfolgerin der anderen sein kann bzw. mit ihr identisch. (Und wenn, dann stände auch sie dann in der moralischen Verantwortung gegenüber Leipzig und in der Rechtsnachfolge des Vertrages mit der Deutschen Bücherei.) Es wäre im Interesse der deutschen Genealogie sicher am besten, wenn führende Vertreter einen neuen gemeinsamen und einigenden Ansatz fänden, der bewußt auch an die Traditionen und Aufgaben der Leipziger Zentralstelle vor 1933 anknüpft, und sich eine Stiftung mit einer Satzung, aber zwei getrennten Säulen, konstituieren würde, von denen eine Säule wieder auf besondere Weise aktiviert werden müßte. Ich war tief ergriffen, als am 4.10.1990 über Nacht in der Eingangshalle der Deutschen Bücherei in Leipzig die Jahrzehnte unter Tapeten verborgene Inschrift „Wir sind ein einzig Volk ... „ wieder sichtbar gemacht worden war. Seit diesem Tag sind inzwischen Jahre vergangen, und es ist einfach Zeit zu einträchtigem Handeln, auch in der Genealogie.

 

(11) Schirdewan, Karl: Ein Jahrhundert Leben. Berlin: Edition Ost 1998, S. 274.

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