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Demgegenüber schlägt J. Ogbu (1986), ein Anthropologe in Berkeley/Kalifonien, vor, die Minderheiten in den USA aus der spezifischen Geschichte ihrer sozialen Entwicklung und Stellung (vgl. auch Arnold 1967) zu begreifen und so zu den Ursachen in den mittleren IQ-Unterschieden vorzustoßen. Ogbu unterscheidet drei Typen von Minderheiten: 1. “autonome Minderheiten”, zu denen er Amish, Juden und Mormonen zählt, die, wenn sie teilweise auch Opfer von Diskriminierung sind, sich doch innerhalb der Hauptströmung der gesellschaftlichen Entwicklung bewegen und wie z.B. die Mormonen im Bundesstaat Utah alle sozialen Ebenen ausfüllen; 2. “Einwandererminderheiten”, und dazu gehören in den USA die Ostasiaten, die freiwillig gekommen sind und, obwohl sie teilweise in sehr bescheidenen beruflichen Stellungen beginnen, glauben, sich gegenüber ihren Herkunftsländern nach ihrem Einkommen in gehobenen Positionen zu befinden; und 3. “kastenähnliche Minderheiten”, wie die amerikanischen Neger, die unfreiwillig gekommen sind und von Geburt an in der Gesellschaft eine niedrige Stellung auf der sozialen Stufenleiter haben. Daß Ogbus Einteilung zwar wesentliche Dinge erfaßt, aber dennoch nicht voll aufgeht, zeigt daß Beispiel der europäischen Zigeuner, die freiwillig gekommen sind, aber dennoch den Status einer kastenähnlichen Minderheit haben.

Ogbu meint, daß die Unterschiede in den IQ-Werten eine Folge dieser sozialhistorischen Stellung sind und er bezieht sich dabei auf eine Anzahl von Kasten in der Welt - wie die Unberührbaren in Indien, die Buraku in Japan (De Vos und Wagatsuma 1967) und die orientalischen Juden in Israel - bei denen allen ähnliche Probleme (wie bei den Negern der USA) auftreten und wo die Bildungsfortschritte auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen, obwohl sie in den genannten Fällen sogar zur selben Großrasse gehören wie die Mehrheitsbevölkerung und die Zigeuner in Europa auch.

Bereits in den Dreißiger Jahren machten Psychologen die Feststellung, daß die absoluten Testwerte, also die Rohwerte bzw. die Anzahl der pro Zeiteinheit gelösten gleichschweren Aufgaben, von Jahr zu Jahr stiegen und praktisch die IQ-Werte neu auf den Mittelwert 100 geeicht werden mußten. Dieser Anstieg ist inzwischen in vielen Ländern und in vielen Teilbevölkerungen (vgl. Flynn 1996) nachgewiesen worden. Die wahrscheinlichsten Gründe dafür sind ein Verbesserung des Bildungssystems und der Einfluß der Massenmedien, vielleicht auch verbesserte Gesundheitsfürsorge und bessere Ernährung, weshalb die gesamte Erscheinung auch mit dem Begriff IQ-Akzeleration erfaßt wird. Der Anstieg der IQ-Werte kommt vor allem dadurch zustande, daß die Verteilung am unteren Ende etwas zusammengedrückt wird. In großen Untersuchungen (Teasdale und Owen 1989) wurde gefunden, daß fast der gesamte IQ-Zuwachs dadurch zustandekommt, daß in der unteren Hälfte der IQ-Verteilung ein Anstieg zu verzeichnen ist. Die Fachleute sind sich einig, daß es sich bei der IQ-Akzeleration (ähnlich wie bei der Veränderung der Körperhöhen) um eine Veränderung des Phänotypus und nicht um eine des Genotypus handelt.