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Am Beispiel der Krankenversicherung kann gezeigt werden (Birg 1995), wie stark allein die demographische Alterung die für die Lohnnebenkosten wichtigen Ausgaben für das Gesundheitssystem erhöhen wird. Die Pro-Kopf-Ausgaben für die Krankenhaus-behandlung, für Sachleistungen, für Arzneimittel und für ärztliche Leistungen in den Altersgruppen über 60 Jahre liegen etwa um den Faktor 2 bis 3 höher als bei den Altersgruppen zwischen 20 und 60. Nach den demographischen Vorausberechnungen, und in diesem Falle ist die Vorausberechnung nicht schwierig und ziemlich zuverlässig, wird sich der Altenquotient - d.h. die Zahl der über 60jährigen auf 100 20-bis 60jährige - von 1990 bis nach 2020 von rund 35 jetzt auf rund 70 erhöhen. Legt man nun diesen steigenden Altenanteil zugrunde und geht man davon aus, daß diese Alten nach 2020 wenigstens die Gesundheitsfürsorge erwarten, die heute für die über 60jährigen üblich ist - von Verteuerung der Behandlung ist also noch gar keine Rede - dann man muß schon bei nur dieser einen Annahme erwarten, daß sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf der Bevölkerung auf etwa das Anderthalbfache von heute erhöhen werden, d.h. der Beitragssatz der Krankenversicherung muß dann von 13,2% für 1995 (1999 13,9%) auf 20% und mehr steigen. Für die Rentenversicherung läßt sich auf ähnliche Weise eine Steigerung von 17,5% für 1993 und 20,3% für 1997 auf über 26% prognostizieren. Da jetzt auch der Staat meint, die Pflegekosten umverteilen zu müssen, wird auch diese neugeschaffene Pflegeversichung nicht mit einem Beitragssatz von 1,7% auskommen. Inzwischen bildet die erste Universität schon Diplom-Altenpfleger aus. Auch das will bezahlt sein. 1995 betrug die Summe der Lohnnebenkosten 40,6% (dabei sind die 6,5% für Arbeitslosenversicherung eingeschlossen). Prognosen für die Jahre nach 2020 müssen mit 60% echten Lohnnebenkosten rechnen.

In Deutschland ist, wie in fast allen europäischen Ländern (eine deutliche Ausnahme ist nur noch das rückständige Albanien) die Fruchtbarkeit weit unter das Selbstreproduktionsniveau gesunken. D.h., die Geburtenzahl pro Frau ist kleiner als 2,0 bzw. 2,1. In Deutschland betrug sie 1996 1,3, aber auch in Italien und Spanien ebenfalls nur 1,2, in Österreich 1,4, der Schweiz und den Niederlanden 1,5. Von kurzfristigen Erholungen und Schwankungen abgesehen, ist von einem Wiederanstieg auf 2,1 nirgendwo in Europa die Rede. Es ist ein sichtbares Zeichen der Sinnkrise, in die das alte Europa getreten ist. Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Bevölkerung an die medizinische Versorgung. Den Ärzten wird die Arbeit mit Sicherheit nicht knapp werden, warten doch im Jahre 2020 in Deutschland mehr als fünf Millionen kranke, unfallverletzte oder pflegebedürftige Rentner auf ihre Hilfe. Die Zahl der Hochbetagten über achtzig Jahre wird sich dannn - wenn nicht dazwischen ein Bruch liegt, der alle diese Voraussagen zu Makulatur macht - von 2,9 Millionen heute auf 3,8 bis 5,4 Millionen gesteigert haben. Angesichts hoher Scheidungsquoten, weitverbreiteter Kinderlosigkeit und der Auflösungserscheinungen der Familien schätzt man die Zahl der dann Pflegebedürftigen auf 1,6 Millionen. Schon innerhalb der letzten 15 Jahre ist in der alten Bundesrepublik die Zahl der Arbeitnehmer im Gesundheitswesen von 997 000 auf 1,5 Millionen gestiegen. Hinzu kommen die Selbständigen (110 000 Ärzte, 50 000 Zahnärzte) und die geringfügig Beschäftigten, so daß die Gesamtzahl der Arbeitsplätze, die aus den Lohnnebenkosten des produktiven Sektors zu finanzieren sind, noch sehr viel höher liegt. Das Gesundheitswesen in Westdeutschland hat inzwischen einen Beschäftigungsanteil von 7%; 1980 waren es erst 4,7% gewesen.

Unsere Eltern haben hart gearbeitet, damit es ihren Kindern einmal besser geht. Unsere Eltern haben viel erreicht, und auch ihnen selbst geht es besser. Verglichen mit früher, haben sie eine viel höhere Rente und fahren jährlich nach Mallorca. Ihre Lebenserwartung ist weiter gestiegen, auch ihr Leistungskraft in fortgeschrittenerem Alter. Gesundheits- und Sozialausgaben des Staates sind in astronomische Höhe geklettert, ebenso die Beiträge zur Rentenversicherung. Auch den Kindern geht es endlich besser. Aber sie haben Schwierigkeiten, eine dauerhafte Existenz zu gründen, und sie haben keine oder nur wenige Kinder, denn sie wollen kräftig am Konsum teilhaben und wenig als Vorschuß auf eine ungewisse Zukunft einbringen. Der Anteil der Alten ist viel höher als je zuvor. Sie dominieren die Gesellschaft, die Parteien und bestimmen mit ihrer Überzahl den Ausgang der Wahlen. Sie sind wie ein Berg, ein Altenberg, der im Wege liegt und alles Neue versperrt und aufhält. Sie sind satt und selbstzufrieden. In Deutschland, in der Schweiz, in Schweden, in den Niederlanden, überall in Europa. In der Vergangenheit ist die Lebenserwartung der Menschen in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Nach den Zahlen der Gesetzlichen Rentenversicherung von 1997 hatten in Deutschland die Männer nach dem Eintritt in den Ruhestand im Durchschnitt noch 13,6 Jahre als Rentner vor sich und Frauen sogar noch 18,5 Jahre.

Wenn man die mittlere Lebenserwartung in allen Ländern der Erde auf einer Achse abträgt und die mittleren Kinderzahlen pro Frau auf eine andere, dann versammeln sich alle hochentwickelten und hochindustrialisieren Länder der Welt in einer Ecke: Es sind die Länder mit einer mittleren Lebenserwartung von 75 und mehr Jahren und einer mittleren Kinderzahl pro Frau deutlich unter 2 (Langner 1996). Das sind fast alle europäischen Länder, aber auch Japan, Südkorea und weitere. Der Zusammenhang kann deshalb kein Zufall zu sein und nicht vorübergehend, sondern eher von einer fast naturgesetzlichen Art. Wenn die mittlere Lebenserwartung eine bestimmte Schwelle überschritten hat, sind in all diesen Ländern die Sozialausgaben in einem bisher nicht bekannten Maße angestiegen. Und es wird zuwenig Geld in Kinder investiert. Wir haben das 1998 in Deutschland erlebt: Eine neue Regierung ist mit dem Wahlversprechen angetreten, Renten- und Sozialkürzungen der alten Regierung rückgängig zu machen und das Kindergeld zu erhöhen. Beides wird auch erst einmal verwirklicht. Haben Sie sich aber schon einmal mit einer Bettdecke zugedeckt, die einfach zu kurz war? Sie können sie nach oben ziehen, da fehlt es bei den Fußzehen und Kindern, sie können sie nach unten ziehen; sie können sie auch ganz straff ziehen und oben und unten festklammern, wie es diese Regierung jetzt getan hat, die auch nicht mehr Geld auszugeben hat, als die vorige, eher wenig. So und so ähnlich stellt sich das Problem in allen industrialisierten Ländern. Das Beunruhigende dabei ist, daß der Geldbedarf für die Renten- und Sozialausgaben nicht geringer werden wird, sondern in absehbarer Zeit noch deutlich steigen wird. Um im Bild zu bleiben: Die Decke wird jedes Jahr kürzer. Wir haben es durch unser verständliches Streben nach Gesundheit, Wohlstand und einem erfüllten Leben dazu gebracht, das wir einen naturgesetzlichen Zusammenhang, nämlich den über das optimale Verhältnis der Generationenanteile, sowohl zeitlich als auch materiell, gründlich aus den Fugen gebracht haben, wozu mangelnde politische Voraussicht noch weiter beigetragen haben und täglich beitragen (Birg 1998).

Eine gebildete Generation, die in Wohlstand aufgewachsen ist, sieht keinen Sinn darin, ihre Einkommenserwartungen herunterzuschrauben und in relativer Bescheidenheit selbst Kinder in die Welt zu setzen und großzuziehen. Ein Drittel aller Frauen und Männer bleiben völlig kinderlos und beuten die Arbeit und die Leistungen der Familien mit Kindern aus. In Deutschland wird mehr Geld für Hundefutter (und Silvesterknaller) ausgegeben als für Babynahrung. Man kann aber nicht der gebildeten jungen Generation, die jetzt die Kinder haben und großziehen müßte, dafür allein die Schuld zuweisen. Und was sollte es auch bringen? Denn die Wertvorstellungen, die zur Bedrohung der europäischen Kulturvölker werden und die jetzt in Frage gestellt werden sollten, stammen aus der Generation ihrer Eltern und Großeltern, deren durchschnittliche Lebenserwartung noch immer anwächst und die bei relativ guter Gesundheit nicht nur lange und allzulange die Schaltstellen der Macht und der Wirtschaft besetzt halten, sondern ebenso mit der größten Selbstverständlichkeit einen Anteil des Volksvermögens konsumieren, der in keinem Verhältnis zu den Ausgaben steht, die heute für Kinder und Kindeskinder und gemeinschaftliche Zukunftsinvestionen aufgebracht werden. Der Ablauf des Geschehens folgt vielmehr einer objektiven Eigengesetzlichkeit. Wie der abwärtsführende Gang der Spirale durchbrochen werden könnte, wird inzwischen zwar angedacht, aber die meisten Politiker der etablierten Parteien fürchten sich vor einem offenen Wort. Denn noch haben Kinder (bzw. ihre Eltern für sie) bei Wahlen keine Stimme. „Die Renten sind sicher“, tönte es mit der Monotonie und Einfalt einer tibetanischen Gebetsmühle jahrzehntelang durchs Land, und man versucht, den Glauben an diesen Spruch noch immer aufrechtzuerhalten. Dabei reicht das einfache Einmaleins schon aus, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Manche ziehen durch das Land und empfehlen eine Grundrente, unabhängig davon, ob die Frau oder der Mann ein, zwei, drei oder vier arbeitsfähige Kinder in Deutschland haben oder gar keines.

 

Demographie und Volkswirtschaft. Die demographische Entwicklung in Deutschland und Europa mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft.


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