von Volkmar Weiss

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Die Arbeit der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig wurde über mehr als 25 Jahre durch die Persönlichkeit des Historikers Johannes Hohlfeld geprägt, ohne daß es sein außerordentlicher Fleiß, seine Sachkenntnis und sein ausgeprägter demokratischer Bürgersinn verhindern konnten, daß mit seinem Tode die Zentralstelle faktisch als privatrechtliche Institution unterging. Wenn damit das organisatorische Werk auch erst einmal  an der Zeit und den Umständen zweier totalitärer Systeme gescheitert war, so ragt seine Persönlichkeit und sein geistiges Lebenswerk weit über die Zeit und den Raum hinaus, in dem er gelebt hat.

   Hermann Edmund Johannes Hohlfeld wurde am 1.1.1888 in Reichenbrand bei Chemnitz geboren als Sohn des Diakons Richard Johannes Hohlfeld (geb. 1857) und der Ida Kathinka, geborene (1864) Meißner. Noch im selben Jahr wurde der Vater Pfarrer in Elstertrebnitz bei Borna und blieb es bis zu seinem Tode im Jahre 1912. Der Großvater väterlicherseits, Hermann Ludwig Hohlfeld (1818-1892), war Amtsgerichtsrat in Wolkenstein gewesen, der Großvater mütterlicherseits, Dr. med. Edmund Paul Meißner (1830-1896), Generalarzt in Leipzig, dessen Großvater, Johann Heinrich Meißner (1755-1813), wiederum Professor der orientalischen Sprachen in Leipzig. Alle Stammlinien Hohlfelds führen früher oder später, meist schon in der Generation seiner Urgroßväter, zu sozialen Aufsteigern, die sich innerhalb von zumeist zwei Generationen aus der bescheidenen ländlichen oder städtischen Existenz ihrer Vorfahren hochgearbeitet haben. So gab Hohlfeld das nachdenkliche Betrachten und die Arbeit an der eigenen Ahnentafel schon Stoff für ein Thema, das ihn sein ganzes Leben nicht mehr losließ, nämlich der soziale Auf- und Abstieg über Generationen hinweg und die häufige Herkunft des Besitz- und Bildungsbürgertums aus bäuerlichen und kleinbäuerlichen Familien oder aus Handwerkerfamilien in Stadt und Land, seltener aus proletarischen Familien.

    Durch den Besuch des König-Albert-Gymnasiums in Leipzig von 1899-1907 erlangte Hohlfeld mit dem Abitur die Bildungsvoraussetzung, die seiner Herkunft aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum und seinen eigenen Fähigkeiten angemessen war. Das einjährige Freiwilligenjahr leistete er 1907/08 beim Infanterieregiment 107 in Leipzig ab. Ab 1908 studierte er in Leipzig und Wien Germanistik und Geschichte, dann aber bald - von Karl Lamprecht beeindruckt - nur noch Geschichte.

   Schon Ende 1911 konnte Hohlfeld eine Dissertation zu „Stadtrechnungen als historische Quellen. Ein Beitrag zur Quellenkunde des ausgehenden Mittelalters. Dargelegt an dem Beispiele der Pegauer Stadtrechnungen des 14./15. Jahrhunderts“ vorlegen und die mündlichen Prüfungen bestehen. Es spricht zweifellos für die zeitlose Qualität dieser Erstlingsarbeit, daß die ursprünglich 1912 als Bd. IV., 1. Heft, der „Bibliothek der Sächsischen Geschichte und Landeskunde“ erschienene Arbeit 1973 in Wiesbaden neu aufgelegt worden ist. Wenn der junge Dr. phil. etwa über  die Juden bemerkt, daß sie „sich zwar, wenn ihnen die Bürgerschaft wohl gesinnt war, dauernd niederlassen durften, aber schnell und rücksichtslos wieder aus der Stadt vertrieben wurden, wenn etwa ein neues Märchen über Brunnenvergiftung oder rituellen Kindermord im Lande verbreitet wurde“, verrät er damit schon eine kritische Grundhaltung, die ihm in seinem ganzen Leben noch viel Ärger einbringen sollte. Nach der Verteidigung dieser Arbeit wurde Hohlfeld Verlagsredakteur beim Bibliographischen Institut Meyer in Leipzig.

    Am 4.5.1914 heiratete er Margareta Sophia, geborene Busch. Der Schwiegervater, Ernst Otto Busch, war Drogenhandlungsbesitzer und Stadtrat in Döbeln, war aber 1859 in einer Leipziger Gastwirtsfamilie geboren. Der Vater der Schwiegermutter, Amanda Maria geborene Dathe, war Buch- und Steindruckereibesitzer in Leipzig gewesen. Nach der Geburt des Sohnes Klaus am 3.10.1920, der das einzige Kind des Ehepaares Hohlfeld blieb, wurde die 64stellige Ahnentafel in der Buch- und Steindruckerei Offizin B. A. Dathe in Leipzig gedruckt, die sich nach wie vor in Familienbesitz befand. Diese scheinbaren Nebensächlichkeiten verdienen schon an dieser Stelle der Erwähnung, ist die starke verwandtschaftliche, geistige und wirtschaftliche Verwurzelung der Familie in Leipzig doch eines der wichtigen Kraftfelder, aus denen Hohlfeld schöpfen kann und auf deren Hintergrund seine Leistung überhaupt möglich wurde.

  

Die wachsende Bindung an die Zentralstelle für Deutsche  Personen- und Familiengeschichte in Leipzig

 

Besonders wichtig für seine Entwicklung wurde, daß er am 1.1.1912, nachdem er durch persönliche Vermittlung von Professor Dr. Karl Lamprecht dem Vorsitzenden der „Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte“, Rechtsanwalt Dr. Hans Breymann, vorgestellt worden war,  Assistent dieser Zentralstelle wurde. Das war zwar eher ein Ehrenamt und dürfte höchstens ein zusätzliches Taschengeld eingebracht haben, doch wirkten damals an der Zentralstelle mit Prof. Dr. Eduard Heydenreich als Generalsekretär und Dr. Ernst Devrient als Archivar zwei ungewöhnlich kenntnisreiche Fachmänner, die den Ruf einer Genealogie mit wissenschaftlichem Arbeitsstil wesentlich mitbegründet haben, und ein wißbegieriger junger Mann konnte von beiden sehr viel lernen. „Die Fragen der Genealogie mit der allgemeinen Volksgeschichte hatten mich schon in meiner Dissertation beschäftigt, und so kam es von selbst, daß von Anfang an mein besonderes Interesse der Gedanke fand, die damals noch ausschließlich der Einzelfamilie zugewandte Genealogie in den weiteren Rahmen einer das Volksganze und seine ... sozialen Teile und Gruppen fassenden Volksgeschichte einzuspannen,“ schreibt Hohlfeld selbst.

   Seine allererste familiengeschichtliche Arbeit hatte Hohlfeld bereits 1911 als Student als Auftragsarbeit eines Dr. Friedrich Härting angefertigt und 1914 in der Druckerei B. A. Dathe des Großvaters seiner Ehefrau drucken lassen. Es war dieser Auftrag der aus der Pegauer Gegend stammenden Familie, der Hohlfeld zur Familiengeschichte und zur Zentralstelle geführt haben dürfte und ihn gleichzeitig auf den Gedanken gebracht hat, daß man mit Genealogie Geld verdienen kann. Schon 1913 folgt die Stammtafel der Unternehmerfamilie Schlobach, erstmals durch einen über die Zentralstelle vermittelten Auftrag. Hohlfeld stellt jedoch nicht nur Daten zusammen, sondern sucht im Besonderen der einzelnen Familiengeschichte das geschichtlich Allgemeingültige zu erkennen, ein Streben und eine Fähigkeit, die sich durch sein gesamtes Lebenswerk hindurchzieht. So schreibt der Student z.B. schon 1911: „Wenn man die einzelnen Nachrichten mit einigem historischen Verständnis verfolgt, so kann man durchaus leicht erkennen, wie das ehrsame Handwerk der Müller sich vom 18. zum 19. Jahrhundert allmählich in einen Stand freier Unternehmung umgewandelt hat“, und uralte Standorte von Mühlen werden nicht selten die ersten Industriestandorte.  Hohlfeld hat auf diese Weise sehr früh begriffen, daß Aufträge aus der Unternehmerschaft für Familien- und Firmengeschichten nicht nur dem persönlichen Einkommen zuträglich sein, sondern auch in die Arbeit der Zentralstelle eingebunden werden können oder sich aus ihr ergeben, und daß, wenn die Arbeit gut oder gar beispielhaft ausgeführt wird, sich auch der wissenschaftliche Ertrag einstellen kann. Die Zentralstelle mit ihrem privatrechtlichen Status gab Hohlfeld die Schaffens- und Entscheidungsfreiheit, um z.B. mit einer Firma oder einer Familie einen Werkvertrag abzuschließen, eine Handlungsfreiheit, die mit einem Beamtenstatus und daraus folgenden haushaltsrechtlichen Vorschriften damals und heute unvereinbar wäre.

    Am 2. August 1914 wurde Hohlfeld als Leutnant der Reserve zum Infanterieregiment 178 einberufen, und er machte bei der Vorhut der III. Armee den kampferfüllten Vormarsch an der Westfront mit und wurde mit dem Eisernen Kreuz, II. Klasse, ausgezeichnet. Bereits am 15. September 1914 wurde er an der Aisne schwer verwundet. Ein Querschläger durchschlug ihm in beiden Beinen Arterien und Nerven, so daß er danach mehr als drei Jahre im Lazarett zubringen mußte und zeitlebens Beschwerden zurückbehielt. „Ein solches Kriegsandenken stellt den Getroffenen immer aufs neue vor die Prüfung der Frage, für was man denn dieses Opfer selbst gebracht zu haben wünscht. Volk und Heimat sind in allen Wirren dieser Jahre die absolut wertbeständigen Ideale geblieben, für die man alle Tage bereit wäre, noch einmal sich in die Schanze zu werfen. So sind denn auch Volk und Heimat Gegenstand und Inhalt alles beruflichen Strebens seither gewesen“, merkt Hohlfeld zum Jahreswechsel 1936/37 dazu an.

  Nach dem Kriege ergänzte er von 1919 bis 1922 seine Ausbildung als Student der Rechtswissenschaft und richtete sich in Leipzig als freier Schriftsteller ein, blieb dabei aber stets mit dem Bibliographischen Institut Meyer durch eine Reihe vertraglich abgesicherter Aufgaben verbunden. So war er 1913-1922 Redakteur der zweiten Auflage von Helmolts neunbändiger Weltgeschichte und historischer Schriftleiter für Meyers zwölfbändiges Konversationslexikon.

   Mit der Leitung der Vortragsabende der Leipziger Ortsgruppe der Zentralstelle übernahm Hohlfeld nach dem Kriege eine lohnende Aufgabe. Es gab damals noch keine Zersplitterung unter der Genealogenschaft Leipzigs (wie sie dann später die politische Polarisierung mit sich brachte), und die anregenden Abende waren gut besucht. Dr. Friedrich Wecken als Geschäftsführer der Zentralstelle, der aus dem Kriege mit der Idee eines „Taschenbuchs der Familiengeschichtsforschung“ zurückgekommen war, das 1919 die erste Auflage erlebte und bis heute - verändert und erweitert 11 weitere - entwickelte damals eine stark nach außen wirkende organisatorische Tätigkeit. Dr. Friedrich v. Klocke warb für ein „Deutsches Familienarchiv“  und gab dem wissenschaftlichen Charakter der Forschungen einen starken Ruck nach vorn. Jedoch blieb die Tätigkeit der Zentralstelle schon damals nicht ohne Feinde und Anfeindungen, und die Konflikte, in denen Hohlfeld in den nächsten Jahrzehnten seinen Mann stehen mußte, deuteten sich nachdrücklich an.

   Im Jahre 1913 hatte sich der genealogische Verein „Der deutsche Roland“ vom „Roland“ in Dresden getrennt.  In einer „Denkschrift über die Entwicklung des ‘Deutschen Roland’, Verein für deutsch-völkische Sippenkunde zu Berlin“ (links oben mit zwei Hakenkreuzen auf dem Titel), hatte ihr Vorsitzender, Bernhard Koerner (1882-1952), 1927 geschrieben: „Schon unter seinem ersten Leiter Dr. Klemm 1904 ... hatte der Berliner Kreis einen ausgesprochen völkischen Charakter. Juden wurden grundsätzlich nicht aufgenommen, später wurde auch das Blutsbekenntnis, das jeden jüdischen oder farbigen Blutseinschlag ausschloß, eingeführt.“  Koerners Vertreter „schied freiwillig aus, nachdem er sich mit einer Dame polnischen Namens verheiratet hatte.“  Koerner war es dann auch, der 1920 in seinem Vorwort als Herausgeber im 33. Band des „Deutschen Geschlechterbuches“ (auf S. IX-X, vorn der Schmutztitel des Bandes mit zwei Hakenkreuzen) die Schaffung eines „Reichs-Sippenamtes“ forderte (das es dann 1940 ja tatsächlich gab), „das nicht nur die Namens= und Familien=Angelegenheiten, die Standesämter und Kirchenbücher, die Angelegenheiten der Volkswohlfahrt und Rassenhygiene, sondern auch das Auswanderungswesen, den Ab- und Zufluß europäischen weißen Blutes regeln müßte. ...  Der einzige Verein, der die Rassenfrage ... klar erkannt hat, ist der Verein ‘Roland’ zu Berlin. Er hat es unternommen, ... einen ‘Bund arischer Sippen’ zu begründen.“  Dieses Vorwort und die Politik des „Deutschen Roland“  brachten Koerner in einen scharfen Gegensatz zu den führenden Köpfen der Leipziger Zentralstelle, der in zahlreichen Artikeln und Repliken in den von ihr herausgegebenen „Familiengeschichtlichen Blättern. Monatsschrift für die gesamte deutsche wissenschaftliche Genealogie“ seinen Niederschlag fand. Koerner konterte auf seine Weise und empfahl im 14. Heft (1921) der geschäftlichen Mitteilungen des „Deutschen Roland“: „Mitglieder des Dresdener Rolands, die jüdische oder farbige Bluts=Beimischung haben oder mit einer Frau solchen Blutes verheiratet sind, sollen ... auf die hiesige Ortsgruppe der Zentralstelle in Leipzig, die sie sicher gern aufnehmen werden, verwiesen werden.“

      In seinem ersten Beitrag in einer Fachzeitschrift (rund 100 weitere Beiträge werden folgen) bezieht Hohlfeld 1924 in der „Zeitschrift für kulturgeschichtliche und biologische Familienkunde“ unter der Überschrift „Genealogie als Wissenschaft und als Politik“ in einer Weise Stellung, die für sein Denken und seine Persönlichkeit charakteristisch ist und bleibt (und die ja nicht nur für die Genealogie gilt, sondern für alle Wissensgebiete, die mit einem Bein im Berührungsfeld der Politik stehen): „In politisch erregten Zeiten verwischen sich leicht die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik, zum Schaden beider. Unklare, dilettantische Schwarmgeister, die sich nicht über die Grenzen und daher auch nicht über das Wesen der beiden Gebiete klar sind, sind eifrig am Werke, diese Grenzen zu vermischen und aus der Vermengung zweier streng gesonderter Aufgabengebiete einen Brei unklarer Schwärmerei zu machen, den sie dann ‘völkische Genealogie’ nennen. ... Wenn man eine Wissenschaft der ‘völkischen Genealogie’ fordert, so soll man mit gleichem Recht auch eine Wissenschaft ‘völkische Medizin’ und ‘völkische Naturwissenschaft’ fordern, oder man soll ehrlich sein und erst einmal sich darüber klar werden, daß man nicht mehr ein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Verein ist. ... Man fordert die Ausschließung aller Juden und sonstigen Fremdrassigen aus den genealogischen Vereinen. ... Ich sehe in dieser Politisierung der Wissenschaft eine Barbarei. ... Vereine, die wissenschaftliche Genealogie treiben wollen, können Juden nicht von der Mitarbeit ausschließen. ... Ein Verein, der auf deutsch-völkischem Rassestandpunkt steht und demgemäß die Mitgliedschaft oder Mitarbeit fremdrassiger Forscher ablehnt, ist nicht mehr ein Verein für Familienkunde ..., sondern ein Verein für Rassepolitik.“ 

   Um die Jahrhundertwende war es zu einer Gründungswelle von bürgerlichen genealogischen Vereinen und Familienverbänden gekommen, die häufig eigene private Zeitschriften herausgaben  und die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse in Privatdrucken anstrebten. Die am 16.2.1904 als eingetragener Verein gegründete "Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte" hatte es sich von Anbeginn zur satzungsgemäßen Aufgabe gemacht, diese Organisationen zu erfassen und ihre Veröffentlichungen aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet systematisch zu sammeln. Am 10.5.1920 legte der Verleger Degener (der Verlag ist noch heute der führende Fachverlag für Genealogie im deutschen Sprachraum, aber nach 1945 selbstverständlich im Westen), zu dieser Zeit Schatzmeister der Zentralstelle, dem Vorstand eine Denkschrift vor, in der er vorschlug, die durch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit bedrohte Zentralstelle durch Angliederung an die Deutsche Bücherei sicherzustellen. Bald kam es zu  Verhandlungen zwischen dem damaligen Direktor der Deutschen Bücherei, Prof. Dr. Georg Minde-Pouet, und dem Vereinsvorstand der Zentralstelle, in denen die Möglichkeit einer Arbeitsgemeinschaft geprüft wurde. Als 1913 die Deutsche Bücherei vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler gegründet worden war, stand mit dem Börsenverein eine Organisation zur Erfassung der im Buchhandel erscheinenden Veröffentlichungen zur Verfügung. Es blieb der Deutschen Bücherei überlassen, Mittel und Wege zur Sammlung des privaten Schrifttums zu finden. Es war eine Überraschung, aus der Beschaffungsarbeit der Deutschen Bücherei zu erfahren, daß die außerhalb des Buchhandels erscheinenden Drucke zahlenmäßig die im regulären Buchhandel erscheinenden nahezu erreichten. Innerhalb des privaten Schrifttums hob sich aber eine Gruppe noch besonders heraus, deren Erfassung auf besondere Schwierigkeiten stieß, weil ihre Träger Familien und Familienverbände waren, deren Veröffentlichungen nur wenig über ihre eigenen Grenzen hinausdrangen: es war das genealogische Schrifttum. So war es nicht verwunderlich, daß die Deutsche Bücherei 1920 zu einer Partnerschaft bereit war.  Am 18. 11. 1920 stimmte deren Geschäftsführender Ausschuß der Unterbringung der Zentralstelle im Gebäude der Deutschen Bücherei grundsätzlich zu und erklärte 1921, daß er nunmehr zur mietfreien Aufnahme der Zentralstelle bereit war. Dagegen lehnte er die Übernahme von Personal- und Verwaltungskosten ab. Das Ergebnis abschließender Verhandlungen war der Vertrag vom 20.7.1921, der eine beiderseitige unkündbare Arbeitsgemeinschaft auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ohne zeitliche Grenze begründete. Auf Grund dieses Vertrages hielt die Zentralstelle ihren Einzug in die Deutsche Bücherei. Diese festen institutionellen Bindungen zwischen Zentralstelle und Deutscher Bücherei bedeuteten fortan nicht nur für die Zentralstelle, sondern auch für Hohlfeld, der auch seine eigenen Privatdrucke regelmäßig in der Deutschen Bücherei hinterlegte, ein gesichertes Hinterland.

   Eines der gesellschaftlichen Standbeine für Hohlfeld war seit seiner Studentenzeit seine Mitgliedschaft in der akademischen Sängerschaft „Arion“, der schon sein Vater angehört hatte. Er sprach 1923 anläßlich der Enthüllung eines Ehrenmales für die im Weltkriege 1914-18 gefallenen Arionen und war 1923 Herausgeber des Buches „Ecce Arionis“, in dem jedem der Gefallenen mit einem kurzen Lebenslauf und den Todesumständen gedacht wird. Ein 1925 erschienenes Verzeichnis der Alten Herren der Deutschen Sängerschaft umfaßt 656 Seiten. Von 1923 bis 1927 war Hohlfeld Schriftleiter des 29.-32. Jahrgangs der „Deutschen Sängerschaft“, der akademischen Sänger-Zeitung. Entsprechend dem damals weit exklusiveren Charakter des akademischen Studiums ergaben sich durch diese Tätigkeit viele Beziehungen zu einflußreichen und vermögenden Personen. Von 1925 bis 1933 ist Hohlfeld Vorsitzender des Leipziger Schubertbundes, eines anderen Sängervereins, dessen Geschichte er verfaßt und 1934 drucken läßt.

    Die fruchtbarste Schaffensperiode von Hohlfeld als Historiker lag zweifellos in den Jahren der Weimarer Republik. 1919 erschien eine Darstellung der Kriegszielbewegungen und der Friedensschlüsse des 1. Weltkrieges unter dem Titel „Der Kampf um den Frieden“. 1923 veröffentlichte er zusammen mit Konrad Haebler eine Geschichte Amerikas. Anderen, kleineren Schriften, war kein buchhändlerischer Erfolg beschieden, und sie belegen nur den Fleiß und die historische Allgemeinbildung des jungen Verfassers, so z.B. 1922 ein „Repetitorium der Weltgeschichte“ und eine fünfteilige „Geschichte des deutschen Volkes“ 1921/22, ebenso die zahlreichen Fachartikel in Lexika und Sammelwerken aus eigener Feder, ganz abgesehen von den Bearbeitungen. 1924 folgte dann schon sein Hauptwerk, die „Geschichte des Deutschen Reiches 1871-1924“, die 1926 in zweiter, bis 1926 ergänzter, Auflage erschien. Da er sich für diese Arbeit gründlich mit den Quellen befassen mußte, konnte 1927, als eine Art Nebenergebnis, eine „Deutsche Reichsgeschichte in Dokumenten 1848-1926“, eine Quellensammlung zur neueren deutschen Geschichte,  erscheinen, die 1933 eine zweite Auflage in vier Bänden erlebte und 1934 eine dritte. „Der Geschichtslehre oder der Geschichtsstudierende ... möchte gern die wichtigsten, oft zitierten Dokumente zur selbständigen Urteilsbildung und zur Nachprüfung fremden Urteils zur Hand haben, ohne daß er erst in einer Bibliothek das halbe Hundert Bände der Akten des Auswärtigen Amtes, die fünfzig Jahresbände der Reichsgesetzblätter usw. zu durchsuchen braucht. ... Das Werk will ein Ganzes sein, eine Geschichte ohne Darstellung, eine selbständige ‘Geschichte in Dokumenten’. Der Entschluß, Hunderte und Tausende von Urkunden nicht abzudrucken, erforderte oft viel schwierigere und längere Überlegung als der umgekehrte.“ Die gesammelten Dokumente befassen sich ausschließlich mit der großen politischen Geschichte und stehen in merkwürdigem Kontrast zu dem sonst so ausgeprägten Interesse Hohlfelds für das historische Detail, das aus der Sicht der Familiengeschichte eher eine Geschichte von unten ist. Aus dieser Sicht könnte man sich heute weitere, ergänzende Dokumentenbände völlig anderen Inhalts vorstellen, die aber Hohlfeld - und hier stand er in der von Lamprecht geprägten Tradition -  noch fern lagen, wenn er auch in dem Buch „Aus Joseph Meyers Wanderjahren. Eine Lebensepisode in Briefen“ 1926 ebensolche Dokumente verarbeitet. Nur der spärliche statistische Anhang der Dokumentenbände mit Bevölkerungszahlen von 1910, Wahlergebnissen von 1925, Geldumlauf und einigen anderen Kennziffern läßt ahnen, daß Hohlfeld seine Dokumentensammlung für ausbaufähig hält.

     Während der Weimarer Zeit wurde seine Bindung an die Zentralstelle immer enger und leitete eine ungewöhnlich fruchtbare Schaffensperiode ein. Da Friedrich Wecken, so fleißig er war, bei der Zusage von Arbeitsleistungen ein Geschäftsgebaren an den Tag legt, das den Vorstand der Zentralstelle immer mehr in Verlegenheit brachte, übernahm Hohlfeld am 15.4.1924 als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied die praktische Leitung der Einrichtung. 1921 hatte die  Zentralstelle die Arbeit an der "Familiengeschichtlichen Bibliographie" in jährlich erscheinenden Heften aufgenommen. Die Ausgaben für 1921 bis 1926 wurden dann 1928 zu einem geschlossenen Band vereinigt, dem dann der nachgelieferte Band mit durchlaufender Bibliographie der Jahre 1900 bis 1920 folgte. Die Bearbeitung dieser beiden Bände wurde noch durch Wecken vorgenommen, die folgenden, die Jahre 1926 bis 1930 und 1931 bis 1934 umfassenden Bände bearbeitete Hohlfeld. Der fünfte Band brachte dann außer der von ihm bearbeiteten Jahresbibliographie für 1935 als Nachtrag eine Bibliographie der Jahre 1897 bis 1899, womit der Anschluß an die 1897 erschienene "Bibliotheca familiarum nobilium" von Otto Gundlach hergestellt war. Noch vor Kriegsbeginn 1939 konnte die Zentralstelle mit dem sechsten Band das Gesamtwerk zu einem vorläufigen Abschluß bringen; er enthält die Jahresbibliographie für 1936 bis 1937 in einem Alphabet und ein von Hohlfeld und Fritz Ranitzsch gemeinsam bearbeitetes Gesamtregister, aus dem sich die Zahl von 80 000 Familien ergibt, über die genealogische Veröffentlichungen in den sechs Bänden nachgewiesen werden. Soweit Belegstücke nicht unmittelbar an die Deutsche Bücherei eingingen, erhielt solche die Zentralstelle zur Bekanntgabe in ihrer "Familiengeschichtlichen Bibliographie" oder zur Besprechung in den "Familiengeschichtlichen Blättern". Die nicht unaufgefordert eingehenden Veröffentlichungen wurden im gegenseitigen Einvernehmen und entsprechend den zur Verfügung stehenden Kräften entweder von der Zentralstelle oder von der Beschaffungsabteilung der Deutschen Bücherei erbeten.

    Seit 1910 bestand zwischen Lamprechts „Institut für Kultur- und Universalgeschichte“ an der Universität Leipzig und der Zentralstelle eine Verbindung, die von beiden Seiten sorgsam gepflegt worden ist. Seit dieser Zeit fanden an der Universität Lehrveranstaltungen statt, in der auch der Genealogie ein gebührender Platz eingeräumt wurde. Zuerst wurden die Übungen von Devrient und v. Arnswaldt,  1911 dann von Heydenreich, später durch v. Klocke abgehalten, bis ab 1926 Hohlfeld als Nachfolger tätig wurde. Vom Ansehen und der gesellschaftlichen Stellung, die 1929 die Zentralstelle, 25 Jahre nach ihrer Gründung, in Leipzig erlangt hatte, zeugt die Festschrift, die Hohlfeld zu diesem Anlaß herausgab. Für viele Persönlichkeiten des öffentlichen und des akademischen Lebens der Stadt und darüber hinaus war es eine Selbstverständlichkeit und eine Ehre, zu den Mitgliedern der Zentralstelle zu gehören, und das sachliche Interesse an der Zentralstelle schlug sich im vielfältigen Engagement ihrer Mitglieder nieder. Dadurch, daß Hohlfeld 1927 auch die Schriftleitung der „Familiengeschichtlichen Blätter“ übernommen hatte, die damals die führende Fachzeitschrift im deutschen Sprachraum war, ergaben sich für ihn vielfältige Möglichkeiten, auf die fachliche Qualität der Arbeit einzuwirken, nicht zuletzt auch durch die Vielzahl der von ihm selbst verfaßten oder vermittelten Rezensionen.

   1926 veröffentlichte er anläßlich der Jahrhundertfeier des Bibliographischen Instituts Meyer eine Festschrift, die praktisch eine Familiengeschichte der Verlegerfamilie Meyer ist. Weitere Bücher und Zeitschriftenaufsätze zur Buchhandelsgeschichte folgen, insbesondere das Buch „Hundert Jahre Verein der Buchhändler zu Leipzig“ im Jahre 1933, in dem auf vielen Seiten die Namen Johann Ambrosius Barth, Breitkopf und Härtel, Brockhaus, Degener, Credner, Harossowitz, von Hase, Hirzel, Klasing, Koehler, Alfred Kröner, Meyer, Reclam, Seemann, von Tauchnitz, Georg Thieme, Velhagen, Voß und andere genannt werden, die einmal zu Leipzig gehörten und auch heute noch im Buchhandel und Verlagswesen klangvolle Namen sind, aber nach 1945 bzw. 1990 nicht mehr in Leipzig ansässig sind. (Und die Zentralstelle hat in den letzten Jahrzehnten vor allem deswegen an Bedeutung verloren, weil dieses Hinterland bürgerlicher Familien, auf das sich Hohlfeld mit Selbstverständlichkeit stützen konnte, in Leipzig nicht mehr vorhanden ist.)

  Ein weiteres gesellschaftliches Standbein (neben seiner Mitgliedschaft bei der eher exklusiven „Deutschen Gesellschaft“), das zu einem außerordentlich hohen Bekanntheitsgrad seiner Person in Leipzig beigetragen haben dürfte, war für den rührigen Hohlfeld der ehrenamtliche Vorsitz des Vereins für Volkswohl, den er seit 1923 innehatte. Dieser Verein organisierte eine Vielzahl von bildenden Veranstaltungen, Vorträgen und Kursen bis hin zu Kinderferienfahrten und stand jedermann offen, wurde aber vor allem finanziell vom Leipziger Bürgertum getragen. Als Hohlfeld anläßlich der 50-Jahr-Feier des Vereins am 17.1.1932 spricht, ist der Rektor der Universität, Prof. Theodor Litt, unter den Zuhörern. In der Liste der Stifter werden z.B. 1930 rund 300 Leipziger Firmen genannt, darunter fast alle, die im Leipziger Buchhandel und Verlagswesen einen Namen hatten (und die sicher wußten, daß der Vorsitzende des Vereins, für den sie spenden, Hohlfeld heißt). Zu den Mitgliedern des Vereins gehörten z.B. auch der Historiker Prof. Dr. Rudolf Kötzschke und der Verleger Philipp Reclam. Prüft man die Namenslisten der Spender und Mitglieder näher, dann fallen einem zahlreiche Querbeziehungen zu den Mitgliedern der Zentralstelle, die schon 1925 die Zahl 1500 überschritten hatte, und zu den Familien, deren Familien- und Firmengeschichten Hohlfeld schreibt oder auch zu den Mitgliedern der Sängerschaft Arion auf. Seit 1925 ist Hohlfeld Schriftleiter der Mitteilungen des Vereins Volkswohl, Ende 1932 darüber hinaus weiterhin Vereinsvorsitzender und Leiter der Vortragsabteilung, Vorsitzender der Leipziger Volksakademie und des Landesverbandes Sachsen der Gesellschaft für Volksbildung sowie Mitglied des Hauptausschusses der Gesellschaft für Volksbildung in Berlin. Ende 1933 werden diese Vereine gleichgeschaltet und gehen in der Volkshochschule auf. Hohlfeld, der von 1925 bis 1932 rund 50 Vorträge gehalten hatte, davon 1930 auch vier im Rundfunk, ist als Referent auf dem Gebiete der Weiterbildung nicht mehr erwünscht.

  Als politisch denkender und handelnder Mensch war Hohlfeld 1919 der Deutschen Demokratischen Partei beigetreten, die sich 1930 mit der Deutschen Volkspartei und dem Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei zusammenschloß in einem der letzten Versuche der liberalen Mitte, sich gegen die nationalsozialistische Welle zu behaupten. 1932 bei den Reichstagswahlen war Hohlfeld Spitzenkandidat dieser Partei in Leipzig, und er äußerte sich von 1925 bis 1932 auf zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen, Vorträgen und in der Presse zu einem breiten Spektrum politischer Themen.

  

Als Geschäftsführer der Zentralstelle in der Zeit des Nationalsozialismus

 

Als mit Heinrich Himmler und R. Walther Darré 1933 zwei Diplom-Landwirte, die die praktischen Erfahrungen der Viehzucht auf die menschliche Gesellschaft übertragen wollten, in führende Positionen gelangt waren, wurden wichtige Stellungen im Staat mit nationalsozialistischen Sippenforschern besetzt. Bereits am 7.4.1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, in dem bekanntlich der „arische“ Abstammungsnachweis gefordert worden ist. Damit wurde die Genealogie zu einem Politikum von existentieller Bedeutung für den einzelnen und zentraler für die Gesellschaft. Sofort setzten deshalb 1933 Bestrebungen ein, alle familiengeschichtsforschenden Vereine zu kontrollieren und in einem Dachverein zusammenzufassen. Eines der ersten und wichtigsten Ziele schon in den allerersten Wochen nach der Machtergreifung war für Dr. Achim Gercke (geb. 1902), dem „Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern“ (und vor der Machtergreifung Leiter der NS-Auskunft in München), die Gleichschaltung der Leipziger Zentralstelle. Die Verfilzung von staatlichen, halbstaatlichen und parteipolitischen Institutionen und Kompetenzen, die auch zur Vermengung staatlich-bürokratischer Organisation und privatwirtschaftlicher Verbandsstrukturen mit dem aus der NS-Bewegung stammenden Führerprinzip führte, machte 1933/34 die Grenze zwischen Staat, Gesellschaft und Partei flüssig. Zu denen, die danach trachteten, ihre Vorstellungen vom Wesen und der Zielsetzung des neuen Regimes durchzusetzen, gehörte Gercke. Die Taktik des Gewähren- und Experimentierenlassens, die Hitler schon vor 1933 seiner Partei gegenüber mit Erfolg gehandhabt hatte, um Initiative, Spontaneität und Aktivität zu erzeugen, wurde jetzt abermals angewandt, aber nunmehr vor allem auf den Bereich der praktischen Regierungsmaßnahmen und der Organisation bezogen.

     Da Gercke darauf drängte, Hohlfeld abzulösen, sah sich Breymann am 20.4.1933 zu einem Schreiben  genötigt: „Herr Dr. Hohlfeld ist ein durchaus großzügig angelegter Charakter. An seiner Vaterlandsliebe kann gar kein Zweifel bestehen. Jeder hat ja in der früheren Vergangenheit seine eigenen Gedanken über Deutschlands Zukunft gehabt. ...  Es handelt sich durchaus um eine jener Persönlichkeiten, die unser großer Reichskanzler Adolf Hitler als solche bezeichnet, die für die nationale Bewegung gewonnen werden möchten. ... Im übrigen ist er jetzt 20 Jahre für die Zentralstelle tätig, in jeder Richtung eingearbeitet, auch im übrigen ein anerkannter deutscher Historiker von erstaunlicher Vielseitigkeit. In der Genealogie ist er durchaus führend. Ich wüßte bei meinem doch immerhin recht reichhaltigen Überblick über wohl fast alle Genealogen von einiger Bedeutung keinen Mann, der gerade vom Standpunkt der jetzt erforderlichen äußersten Peinlichkeit, Genauigkeit, Wahrheitsliebe und Unbestechlichkeit, vor allem in der großzügigen Einstellung und in seinen persönlich fleißigen Leistungen an Stelle von Herrn Dr. Hohlfeld die Geschäfte der Zentralstelle leiten könnte. ... Er ist nicht nur  anerkannter pragmatischer Historiker, sondern auch ein glänzender Organisator für Gesamt- und Einzelarbeit, Träger der neuen genealogischen Auslands-Deutschtum-Verzeichnung, Autor zahlreicher Sammelschriften und Einzelgeschichten genealogischer Art. In allen unseren zahlreichen Publikationsfragen ist er der klare Einrichter und Ordner der Ausführung. Dabei von großer historischer Zuverlässigkeit und wie ich schon bemerkte, äußerster geschichtlicher Unbestechlichkeit.“

    Was kann eine unter solchen Druck geratene Institution machen, wenn sie von einer Gruppe von klugen und handlungsfähigen Personen mit weitreichenden gesellschaftlichen Beziehungen, wie sie die Zentralstelle damals hatte, geführt wird? Eine solche Institution kann sich teilweise anpassen oder eine Anpassung vortäuschen; kann vorgeben, gar nicht so unterschiedlich zu sein; kann sich tatsächlich oder zum Schein umstrukturieren, um weniger Angriffsfläche zu bieten; kann versuchen, die Kompetenz der Stelle - von der der Hauptangriff ausgeht (und das waren zweifellos Gercke und seine Mitarbeiter), in Zweifel zu ziehen und deren Machtmöglichkeiten zu unterlaufen, indem man selbst nach fachlich kompetenten und politisch einflußreichen Verbündeten Ausschau hält. All das ist von Hohlfeld und den anderen führenden Köpfen der Zentralstelle bis 1935 mit Erfolg praktiziert worden. Ein besonders geschickter Schachzug war dabei die im April 1934 durchgeführte Neugliederung der Zentralstelle in eine Stiftung und einen Förderverein, wodurch dem ursprünglichen Verein sein Vermögen, dessen Enteignung durch die nationalsozialistische Reichsstelle für Sippenforschung (d.h. Gercke) drohte, entzogen und dieses Vermögen der an die Deutsche Bücherei gebundenen Stiftung übereignet worden ist.

    Seit der Übernahme der Geschäftsführung der Zentralstelle im Jahre 1924 durch den auch kaufmännisch begabten Hohlfeld war es eines seiner Richtlinien, die Veröffentlichungen der Zentralstelle unter vollem Einsatz aller Mittel und selbst unter Inanspruchnahme von Krediten und hohen persönlichen und sachlichen Opfern zu vollständigen Reihen auszubauen. Der Zentralstelle gehörten deshalb 1934 u.a. außer den "Familiengeschichtlichen  Blättern" und der "Familiengeschichtlichen Bibliographie" das auf 22 Quartbände angewachsene "Stamm- und Ahnentafelwerk" der Zentralstelle mit den 5 Sonderbänden "Ahnentafeln berühmter Deutscher", die 59 Hefte "Mitteilungen der Zentralstelle", überwiegend mit Quellenveröffentlichungen, die volkstümlich gehaltenen 31 Flugschriften für Familiengeschichte und die 20 Bände umfassende Monographienreihe "Beiträge zur Deutschen Familiengeschichte", endlich die vom Verein "Herold", Berlin, herausgegebene und von der Zentralstelle verlegte "Wappenrolle bürgerlicher Geschlechter". Dazu kamen die archivalischen Sammlungen der Zentralstelle, bestehend aus zwei Karteien von rund 2 Millionen familiengeschichtlichen Nachweisungen, eine Sammlung von Ahnentafeln, eine Umschlagsammlung zur örtlichen und biologischen Familienkunde sowie Stammtafeln und Personalbogen und die Unterlagensammlung der von der Zentralstelle seit 1904 selbständig oder in fremdem Auftrag durchgeführten mehreren Hundert Forschungsarbeiten. Alle diese Werte brachte der "Verein zur Erhaltung der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte" in eine rechtsfähige und gemeinnützige Stiftung "Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte" ein, die er mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums für Volksbildung in Dresden errichtete.            

     Es wäre eine falsche Vereinfachung, die führenden Köpfe der Zentralstelle von 1933 als eine Gruppe von liberalen, fachkundigen Demokraten zu verstehen, denen fachlich inkompetente Nationalsozialisten gegenüberstanden. Indem, als Zugeständnis an den Zeitgeist, der bisherige Vorsitzende Breymann am 21.6.1933 gegen den Landgerichtsdirektor Dr. Gerhard Lorenz (geb. 1889), einem Mitglied der NSDAP, ausgetauscht wurde, sicherte sich die Zentralstelle politisch ab. Lorenz wiederum unterlief mit Erfolg Gerckes Bestrebungen, alle historisch gewachsenen genealogischen Vereine aufzulösen und gleichzuschalten. Besonders diese Absicht stieß auf den Widerstand nicht nur der Zentralstelle, sondern auch fast aller anderen Vereine. Inzwischen war im November 1933 der Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, Dr. Kurt Mayer, nach Berlin übergesiedelt. Als langjähriges und sachkundiges Mitglied des überregionalen Vereins „Herold“ zu Berlin nahm er an dessen monatlichen  Versammlungen teil. Der ebenfalls von der Auflösung bedrohte Verein glaubte seine Selbständigkeit nur erhalten zu können, wenn Mayer als politisch einflußreiches Mitglied den Vorsitz bekäme, weshalb man ihn im Herbst 1934 wählte. Von dieser Zeit an hat Mayer mit Unterstützung der SS und mit Hilfe der Geheimen Staatspolizei intensiv auf den Sturz Gerckes hingearbeitet, womit er bereits im Februar 1935 Erfolg hatte. Daß die führenden Köpfe der Zentralstelle und damit selbstverständlich auch Hohlfeld an diesen Aktivitäten beteiligt gewesen waren, läßt sich aus den erhaltenen Akten im Bundesarchiv belegen. -  Der politische Stellenwert der Genealogie wird daran deutlich, daß am 9.4.1934 der sächsische Ministerpräsident und Obergruppenführer v. Killinger in Begleitung von Kreishauptmann und Kreisleiter Dönicke und Oberbürgermeister Dr. Goerdeler die Zentralstelle „einer eingehenden Besichtigung unterzogen“.

    Gercke hatte sehr weitgesteckte und extreme Pläne, deren Verwirklichung selbst unter den neuen Machtverhältnissen eher utopisch oder politisch naiv war und mit denen er sich überall Gegner machte [WB1]  . So hatte Gercke am 21.6.1933 auf der Hauptversammlung der Leipziger Zentralstelle den Gedanken einer universalen Zentralkartei propagiert, die auch die historischen Personaldaten und damit alle Daten der auf 350 000 Bände geschätzten deutschen Kirchenbücher umfassen sollte. Hohlfeld scheute sich nicht  - nach Abstimmung mit dem Vorstand des „Herold“ in Berlin - in einer streng vertraulichen Denkschrift an das Reichsministerium des Innern direkt gegen Gercke und dem mit ihm kooperierenden Koerner vorzugehen und ihre Pläne lächerlich zu machen. „Die Reichsanstalt für Sippenforschung wird die gesammelten Photokopien aus dem ganzen Reich zur Benutzung ausstellen und eine weitere Photokopie in der beschriebenen Weise verkarten. Durch eine groß angelegte Ahnenkartei, die sämtliche in den Kirchenbüchern vorkommenden Ahnen umfasst, wird es möglich sein, eine große Reihe von Lücken in den Ahnentafeln zu überwinden,“ hatte Gercke gesagt, und Hohlfeld meint dazu: „Sämtliche Kirchenbücher werden alphabetisch verzettelt. Durch Zerschneiden der Photokopien geht es allerdings nicht, die Kirchenbücher müssen verzettelt werden. ... Aber was ist denn gewonnen? Der Rohstoff der Quellen ist immer wieder nur in Rohstoff verwandelt - in eine Kartei von allerdings gigantischem Ausmaß. ... Über diesen gigantischen Plan sei offen und deutlich das Urteil gesprochen, das er verdient: es ist der dilettantischste Plan, den je ein Mann aufgestellt hat von einer Sache, von der er nichts versteht. ... Der Schriftdenkmalsschutz ... ist überhaupt nicht zu verbinden mit dem Problem der wissenschaftlichen Auswertung des Inhalts der Kirchenbücher. Diese kann überhaupt nur im Wege orts- und landesgeschichtlicher, hauptsächlich aber sozial- und sippengeschichtlicher Einzelforschung, niemals im Wege einer zentralen Gesamtbearbeitung der Kirchenbücher erfolgen.“ Daß aus diesem gemeinsamen Vorgehen gegen Gercke Verbindlichkeiten zwischen Mayer und Hohlfeld entstanden sind, die Hohlfeld helfen, seine eigene Stellung zu bewahren, braucht nicht zu wundern. Mayer war im Vergleich zu Gercke aus der Sicht der genealogischen Vereine und damit auch aus Sicht Hohlfelds der bessere bzw. ein fähiger Fachmann (d.h. auch Genealoge), der sich in Staatsverwaltung, Partei und SS mit  Geschick und Realismus bewegen konnte und der ab 1936 - nach Überwindung der Anfangswirren in der von Gercke übernommenen Dienststelle - eine Bürokratie von bis zu 100 Mann effektiv leiten konnte. Als Mayer Hohlfeld die Stellung des Schriftführers des „Volksbundes der deutschen sippenkundlichen Vereine“ anträgt, lehnt Hohlfeld jedoch am 5.12.1935 ab und unterzeichnet: „Heil Hitler. Ihr ergebener Hohlfeld.“

    Inzwischen war Hohlfeld selbst zum Ziel einer politischen Kampagne gegen ihn geworden. Gercke hatte stets in Abstimmung mit dem alten Erzfeind der Zentralstelle, Dr. Koerner, gehandelt, der 1933 zum Ministerialrat im Reichsinnenministerium avanciert war, dadurch ziemlichen Einfluß hatte und auf dem Dienstwege auch von der gegen Gercke und ihn gerichteten Denkschrift erfahren haben dürfte. Begonnen hatte die Kampagne gegen Hohlfeld mit einem politischen Verriß seiner vierbändigen „Deutschen Reichsgeschichte in Dokumenten“ und zweier historischer Monographien. Im Schlußsatz der von der „Reichsstelle  zur Förderung des deutschen Schrifttums“, einer Art Zensur- und Kontrollbehörde, bestellten Sammelrezension heißt es: „Es kann nur Wunder nehmen, daß Herr Dr. Johannes Hohlfeld selbst im Dritten Reich noch immer Mitarbeiter für Politik und Geschichte beim Literarischen Zentralblatt für Deutschland sein kann.“

    Wo setzten seine Gegner an? In seiner „Geschichte des Deutschen Reiches 1871-1926“ hatte Hohlfeld über die Ereignisse des Jahres 1923 geschrieben: „Setzte sich das Reich gegen den ‘Zeignerkommunismus’ nicht durch, so drohte die sächsische ‘kommunistische Zelle’ weiterzuwuchern wie ein Krebsgeschwür. ... Ohne das Eingreifen des Reiches in Sachsen und Thüringen, wo sich die Reichsexekution anschloß, wäre wohl ein Bundesstaatenkrieg zwischen Mitteldeutschland und Bayern, zwischen den proletarischen Hundertschaften von dort und den Hitlergarden von hier, eher oder später Wirklichkeit geworden. Natürlich mußte sich das Reich notwendig nun auch gegen Bayern durchsetzen ... . In diesen Kreisen glühte noch in reinem Feuer der Begeisterung der Gedanke der nationalen Befreiung von französischer Fremdherrschaft und von bolschewistischer Überfremdung. Sie bekämpften die Reichsregierung nicht um ihrer Stärke willen ..., sondern wegen ihrer Schwäche. An die Sohlen dieser in ihren Idealen reinen, wenn auch politisch unausgereiften Bewegung hatte sich aber eine ... Partei geheftet, die sich erschöpfte in einer rein negativen, ätzenden Kritik alles Bestehenden in einem gedankenarmen Antisemitismus: die nationalsozialistische Partei unter Führung des zugewanderten österreichischen Demagogen Adolf Hitler.“ Darüber hinaus hatte sich Hohlfeld am 6.12.1932 und am 1.1.1933 in der „Neuen Leipziger Zeitung“ kritisch über Hitler geäußert.

    Hohlfeld wehrt sich mit einer 16seitigen Denkschrift, die er drucken läßt und an Freunde und Bekannte verteilt, gegen diese anonym erschienene Rezension. Da Hohlfeld den Mut hat, in dieser Denkschrift auch noch einmal den Satz mit dem „Demagogen Hitler“ wortwörtlich abzudrucken, wird die Denkschrift, soweit nicht schon verteilt, auf Antrag der „Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) beschlagnahmt, die auf diese Weise eingeschaltet wird. Am 19.9.1935 berichtet das Geheime Staatspolizeiamt Berlin an den „Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern“: „Hohlfeld ... galt nach einem Bericht des Geheimen Staatspolizeiamtes Sachsen als besonders rühriger Demokrat. ... Entsprechend seiner allgemeinen politischen Einstellung hat H. in seinen Werken früher teilweise eine scharf ablehnende Haltung gegenüber dem Führer und dem Nationalsozialismus eingenommen. ... Für die jetzige Einstellung Hohlfelds ist nun bezeichnend, daß er ... diese Fehlurteile von damals heute umzudeuten und damit auch noch zu verteidigen sucht. ...  Schon dieser Versuch zeigt, daß von einer aufrichtigen Umstellung des Denkens bei Hohlfeld kaum eine Rede sein kann. Ich halte ihn daher für die Bekleidung der Stelle eines Geschäftsführers der Zentralstelle ... nicht weiter geeignet und bitte, entsprechende Schritte gegen ihn zu veranlassen.“

   Eine Stellungnahme der Reichsstelle für Sippenforschung dazu wird am 15.10.1935 angefordert. Deren Leiter ist aber nicht mehr Gercke - wie das zu Beginn der Kampagne gegen Hohlfeld der Fall gewesen sein dürfte - sondern inzwischen Mayer, der sofort daran geht, Gegenargumente zu sammeln, um Hohlfeld zu stützen. Mayer sammelt positive Rezensionen von Hohlfelds Arbeiten, darunter auch ein „Urteil der Reichsamtsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes“ aus Bayreuth vom 13.2.1935, in dem über die vier Bände der „Deutschen Reichsgeschichte in Dokumenten“ zu lesen ist: „Eine Dokumentensammlung von einzigartigem Ausmaß hat mit dem nun vorliegenden 3. und 4. Band ihren Abschluß gefunden. ... Die Sammlung füllt hier eine stark empfundene Lücke aus. Die in großer Zahl aufgenommenen Reden, Manifeste und Briefe des Führers bilden in sich zusammen ein Ganzes, aus dem Form und Gestalt des neuen Staates auch dem deutlich wird, der seiner Gedankenwelt fern stand. Wer sich also über die letzten 100 Jahre deutscher Geschichte, über die Entwicklung des deutschen Reichsgedankens ... von Bismarck zu Hitler durch die Quellen unterrichten lassen will, muß dieses Werk benützen“, das abschließend für den Geschichtsunterricht empfohlen wird. Der 4. Band der Dokumente enthält Dokumente der NSDAP. Für Hohlfeld als Historiker hat diese Veröffentlichung gewiß keine Gewissensqualen ausgelöst, denn der Band enthält Dokumente wie die anderen Bände auch.  

  Mayer spielt in der Angelegenheit Hohlfeld auf Zeit und berichtet am 12.6.1936 an den Innenminister: „Dr. Johannes Hohlfeld ... ist einer unserer anerkanntesten wissenschaftlichen Genealogen.“ Auch der Landgerichtspräsident Lorenz, dem Mayer eine Abschrift seines Schreibens zugeschickt hat, schaltet sich massiv ein und schreibt nach Berlin: „Im Frühjahr 1933 wurde ich im Zuge der sogenannten Gleichschaltung ... Vorsitzender der Zentralstelle. ... Von Dr. Gercke wurde auf Entfernung Dr. Hohlfelds ... gedrängt. Ich habe mich dem an sich nie widersetzt, habe nur die Übernahme des Vorsitzes an die Bedingung geknüpft, daß mir dann anstelle Dr. Hohlfelds ein einigermaßen gleichwertiger Ersatz zur Verfügung gestellt würde. ... Ich darf darauf hinweisen, daß die Zentralstelle wohl das größte Unternehmen dieser Art ist und nicht nur im Reich, sondern auch im Ausland (auch außerhalb Europas) in wissenschaftlichen und genealogischen Kreisen höchstes Ansehen genießt. Ein solcher Ersatz konnte mir nicht  zur Verfügung gestellt werden - den gab es einfach nicht. ... Ich bin selbst davon überzeugt, daß sich Dr. Hohlfeld bei allem, was er als Vorstand der Stiftung tut, nur von rein sachlichen Gesichtspunkten leiten läßt. ... Als im Mai 1932 eine unrichtige Ahnentafel Hitlers in Wien erschien, die dann auch mit bewußten Fälschungen im Ausland verbreitet wurde, hat Dr. Hohlfeld noch im Sommer 1932 die Erforschung und Zusammenstellung der richtigen Ahnentafel veranlaßt.“ Mayer, der auch der Auffassung ist, daß es für Hohlfeld keinen geeigneten Ersatz gibt, verschleppt bis Kriegsbeginn Fragen der Amtsenthebung oder der Überwachung von Hohlfelds Tätigkeit und erreicht, daß Hohlfeld weiterarbeiten kann.

    Wenn wir feststellen, daß Hohlfeld seine Stellung vor allem dadurch behaupten konnte, daß der SS-Mann Mayer und das NSDAP-Mitglied Lorenz sich für ihn aussprachen, so könnte man jede weitere Darstellung mit dem voreiligen Schluß abtun, daß damit das Urteil der Geschichte über Hohlfeld schon gefällt sei, denn eine negativere Empfehlung könne es ja kaum noch geben. Das ist nicht so einfach. Nur wer selbst jahrzehntelang unter einem totalitären System gelebt hat, das auch von Fachleuten ein Mindestmaß an Anpassung (mit Heil Hitler oder Mit sozialistischem Gruß) und politischen Lippenbekenntnissen verlangt hat, kann die Pressionen beurteilen, denen sich Hohlfeld und die Zentralstelle ausgesetzt sahen. Daß in einem kommunistischen System ein wohlwollender Vorgesetzter einem parteilosen, fähigen Mitarbeiter in einer internen Beurteilung, die an übergeordnete Stellen ging, auch -  wider besseren Wissens - einen „festen marxistischen Klassenstandpunkt“ bescheinigt hat, wenn er persönlich an seiner weiteren Mitarbeit interessiert war, ist dem Verfasser in seinem Leben mehrfach begegnet; und ein solches Verfahren war, mit anderen Beurteilungsinhalten, auch von 1933-1945 gang und gäbe. Anders sind politische Äußerungen von Lorenz und Breymann über Hohlfeld kaum zu bewerten, anders auch nicht das Motiv von Mayer, Hohlfeld in seinem Amte zu halten.

   In den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur war die Haltung von Hohlfeld ambivalent: Einerseits begrüßte er die gewachsene Bedeutung der Familiengeschichtsforschung, andererseits war er stets kritisch genug, die Oberflächlichkeit dieses Zuwachses zu durchschauen. So schreibt er 1935 über „Die Auswertung deutscher Ahnentafeln“ im Vorspann der „Ahnentafeln berühmter Deutscher“: „Jeder Deutsche ist heute zur Feststellung seiner unmittelbaren Vorfahren genötigt. ... Die Zeugnisse der Vergangenheit in ihrer unbestechlichen Tatsächlichkeit einzuordnen in das vorgestellte Bild einer Weltanschauung zwingt den Geschichtsschreiber ständig in einen Konflikt seines wissenschaftlichen Gewissens mit seiner weltanschaulichen Überzeugung. ... Der ‘arische Nachweis’ aus der Ahnentafel ist nur ein sehr primitiver negativer: er beweist allenfalls, daß die ... acht Urgroßeltern keine Juden waren. ... Die alles überschattende und beherrschende Rassenkunde hat die Ahnentafelforschung heute vorherrschend unter rassenkundliche Gesichtspunkte geschoben. Dadurch ist diese in eine schiefe Lage und schließlich vielfach in Mißkredit geraten. ... Wer von der Ahnentafelforschung unmittelbar rassekundliche Erkenntnisse fordert, verlangt etwas Unmögliches.“ Wenn er dann aber z.B. fortsetzt: „Nur selten geht ein solcher Zusammenprall zweier sozialer Welten im Blut eines Menschen gut aus und schlägt den genialen Funken in die latent vorhandene Begabung“, so erhebt sich Hohlfeld nicht über das vorwissenschaftliche Geschwätz seiner Zeitgenossen.  

 Im Herbst 1939 wurde Hohlfeld noch einmal eingezogen und trat seinen Dienst als Oberleutnant der Reserve bei dem zu Wachaufgaben bestimmten Landesschützenbataillon 373 im Protektorat Böhmen und Mähren an. 1942 wurde er im Dienstrange eines Hauptmanns entlassen, „weil er gegen einen Offizier ein kriegsgerichtliches Vorgehen wegen Beleidigung von Goebbels und Ley verweigert hatte“, wie er nach dem Kriege in seinem Lebenslauf angibt.

    Bis zu Beginn des II. Weltkrieges war die Stiftung Zentralstelle zu einem selbst erarbeiteten Vermögen gelangt, das ihr die Unabhängigkeit versprach. Der Luftangriff vom 4.12.1943 auf Leipzig traf jedoch die Zentralstelle schwer, da ihr gesamtes Archiv und Verlagslager, die sich im Kellergeschoß des Ostflügels des Gebäudes der Deutschen Bücherei befanden, ein Raub der Flammen wurden. Trotzdem setzten Hohlfeld und die Zentralstelle ihre Arbeit fort. Erst das fast allgemeine Druckverbot setzte der Veröffentlichungstätigkeit ein Ende.

   Bleibende Verdienste hat sich Hohlfeld insbesondere bei der Erforschung der führenden Leipziger Familien und der Bearbeitung der Bände „Leipziger Geschlechter“ erworben. „Ich erwähnte bereits, daß die Leipziger französisch-reformierte Gemeinde bis in die Gegenwart hinein einen festgeschlossenen Kreis hochangesehener, wirtschaftlich fruchtbarer und kulturell hochstehender Kaufmannsfamilien bildet, die ihren Geist und ihre Gesittung in zahlreichen Verbindungen mit den Gelehrtenfamilien der Universität auf die ganze Stadt übertragen hat. ... Ich hoffe sehr, daß der Plan ... verwirklicht wird, zunächst die Leipziger französisch-reformierte Gemeinde einer genealogischen Gesamtbearbeitung zu unterziehen, und ich richte an alle wissenschaftlich arbeitenden Genealogen die Einladung, gleiche und ähnliche Arbeiten in anderen Städten aufzunehmen“, hatte Hohlfeld bereits 1933 gefordert. Dieses Familienbuch der Leipziger reformierten Bevölkerung kam dann 1939 heraus, und es war durchaus als eine Art Kontrastprogramm zu den damals politisch opportunen Dorfsippenbüchern zu verstehen. Das hinderte aber Hohlfeld nicht daran, als von diesen Dorfsippenbüchern die ersten 30 gedruckt vorlagen, ihren außerordentlichen wissenschaftlichen Wert zu erkennen und nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht mit Studenten an der Universität eine Auswertung zu beginnen. Leider sind die Ergebnisse dieser Auswertung im Bombenhagel auf Leipzig 1943 verbrannt, so daß 1944 davon nur noch ein Torso erscheinen konnte.

   Für Hohlfeld selbst dürfte die teilweise äußere Anpassung an die Diktatur ein Preis gewesen sein, der ihm die Fortsetzung seiner Arbeit wert war. Aus seiner Sicht dürften die Arbeitsergebnisse der Zentralstelle in den Jahren 1933 bis in die ersten Kriegsjahre seine Auffassung gerechtfertigt haben. Sein vielleicht freiwilliger Abgang (und wohin auch?) hätte nichts geändert oder verbessert. Wie sehr sich Hohlfeld und die Zentralstelle weiterhin von vorwiegend sachlichen Gesichtspunkten leiten ließen, zeigt sich darin, daß sie selbst 1935 und 1938 noch Schriften des 1933 nach Ankara emigrierten Kessler herausbrachten. (1956 äußerte sich Prof. Dr. Ernst Engelberg, Dresden, über seine nähere Bekanntschaft mit Kessler, die er in der türkischen Emigration gemacht hatte: „Herr Kessler war vor 1933 Ordinarius für Sozialpolitik an der Leipziger Universität und gleichzeitig ehrenamtlich sehr eifrig an der Zentralstelle ...  in Leipzig tätig. ... Prof. Kessler ... hat von Dr. Joh. Hohlfeld ... in persönlicher und politischer Hinsicht stets positiv gesprochen. Herr Dr. Hohlfeld war offensichtlich in der Nazizeit bestrebt, diese Zentralstelle von den rassistischen Machenschaften der Nazis freizuhalten.“) - Sein persönliches Jahreseinkommen gibt Hohlfeld für 1933 mit rund 14 000 Mark an, und es bewegte sich in dieser Größenordnung bis 1945 und dürfte auch unmittelbar vor 1933 nicht viel niedriger gelegen haben. Das ist ein beträchtliches Einkommen, das sich aus den vielfältigen Aktivitäten addiert. So hatte Hohlfeld auch in diesem Punkte etwas zu verlieren. 1940 konnte Hohlfeld mit der Familienchronik der Verlegerfamilie Oldenbourg eine letzte beispielgebende Arbeit veröffentlichen.

    In der Flut an sippenkundlichen Drucken des Dutzendjährigen Reiches verlor die Zentralstelle zwar relativ an Gewicht, Hohlfeld behielt aber durch die weitere Herausgabe der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ stets die Übersicht und blieb als Rezensent ein Meinungsführer, wenn er sich als Historiker mit der biologischen Seite der Genealogie, die vom Nationalsozialismus ja besonders betont wurde, auch schwer tat, da es ihm, mit seiner ausschließlich geisteswissenschaftlichen Bildung, in diesem Punkte zwar nicht an Interesse und an Lesefrüchten, aber doch an tiefgründigen Fachkenntnissen in Statistik und Genetik mangelte, so daß seine Rezensionen eher an der Oberfläche bleiben und die politische Rassentheorie nicht in der Substanz da kritisiert wird, wo es aus fachlicher Sicht möglich oder notwendig gewesen wäre. Auch seinen sozialgeschichtlichen Veröffentlichungen hätte ein solides statistisches Wissen und Argumentieren, das zu dieser Zeit zwar sehr selten, aber durchaus schon möglich war, gut getan.

  

Ausklang des Lebens unter einer antifaschistischen Ordnung

 

1945 versuchte Hohlfeld noch einmal einen Neuanfang. Er gehört zu den Mitbegründern der Liberaldemokratischen Partei in Leipzig und macht sich damit im weiteren schon wieder verdächtig. Am 13.9.1945 beantragt Prof. Gadamer als Dekan, daß Hohlfeld wieder Lehrveranstaltungen an der Universität halten darf. Im Wintersemester 1946/47 kann damit begonnen werden, und ab Sommersemester 1948 wird ein unbefristeter Lehrauftrag erteilt, und Hohlfeld hält Übungen „Zum sozialen Auf- und Abstieg der Familien“ ab. Zu den Studenten, die teilnehmen, gehört auch der spätere Landeshistoriker Karlheinz Blaschke. Noch einmal beschwört Hohlfeld den Geist der Freiheit in einer kleinen Schrift über „Die Deutsche Revolution 1848/49“. Am 23.1.1950 berichtet der Kommunist Prof. Dr. W. Markov als inzwischen zuständiger Dekan an das Ministerium in Dresden: „Nach Ansicht der zuständigen Fachvertreter Professor Sproemberg und Professor Kretzschmar ist die Durchführung der Übungen als wertvolle Bereicherung im Sinne des Studienplanes zu bezeichnen“.  (Hohlfeld liegt zu dieser Zeit schon im Krankenhaus.) Nach seinem Tode ist noch ein Band VII der „Familiengeschichtlichen Bibliographie“ für die Jahre 1938 bis 1945 erschienen und praktisch in 4. Auflage 1952 in 6 Bänden seine aktualisierten „Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart“ in Berlin (West).

     1945 war der Förderverein der Zentralstelle, wie alle bürgerlichen Vereine, aufgelöst worden. Nur dank der kostenlosen Unterbringung in der Deutschen Bücherei und dem langjähigen Vertrauensverhältnis zwischen ihrem, Prof. Uhlendahl (seit 1925 Mitglied des geschäftsführenden Hauptausschusses der Zentralstelle), und Hohlfeld konnte die Zentralstelle weiterarbeiten. Seit dem 12.10.1949 fanden im Sitzungssaal der Deutschen Bücherei wieder regelmäßig einmal monatlich Arbeits- bzw. Vortragssitzungen statt, und 1950 zahlten noch 65 Personen Beiträge an die Zentralstelle. Insgesamt gesehen war das Umfeld aber alles andere als genealogiefreundlich. Während alle herrschenden Eliten bis 1945 versucht hatten, ihrer Macht auch eine Legitimation durch Abstammung zu geben, war mit der kommunistischen Elite eine Elite an die Macht gelangt, die ganz bewußt davon ausging, daß sie eine solche Legitimation nicht nötig hatte. Während der Adel seinen Machtanspruch auf direkte Abstammung gründete, war es beim Bürgertum eher die Vererbung der geistigen Voraussetzungen, von der man als gegeben ausging, und die Vererbung und Mehrung des Besitzes, auf die man Wert legte und die ihren Ausdruck in Firmen- und Familiengeschichten gefunden hat, für die ja auch Hohlfeld herausragende Beiträge geleistet hatte. Die ab 1933 herrschende Machtelite hatte dann versucht, aus „Blut und Boden“ die Legitimation eines „Neuadels“ mit arischer bzw. nordischer Abstammung abzuleiten (so ja auch der Titel eines programmatischen Buchs von Darré). 1945 aber begann die Herrschaft der Antithese, und gefragt war höchstens noch der proletarische Großvater, mehr Genealogie aber nicht. Zu dieser im Grunde zutiefst genealogiefeindlichen politischen Umwelt kamen der Mangel an Papier und Kapital hinzu, die Zensur alles Gedruckten und die Angst vor jedem nichtüberwachten Gedanken, die alles zusammengenommen bewirkten, daß Genealogie in dieser Nachkriegsphase nicht gedeihen konnte.

    Wenn man zum 100. Jahrestag der Leipziger Zentralstelle einmal Bilanz ziehen wird, dann wird Hohlfeld zweifellos als der bedeutendste und erfolgreichste Leiter dieser Einrichtung benannt werden. Es ist die besondere Ironie der Geschichte, daß vier Tage nach seinem Tode die Zentralstelle in eine Sammelstiftung überführt (und aus dieser heraus 1956 dem Archivwesen der DDR geschenkt) worden ist auf der Grundlage eines Gesetzes, das „alle Stiftungen, die vor dem 8. Mai errichtet wurden und militaristischen oder faschistischen Charakter haben, und alle  Stiftungen, die den Zielen der antifaschistisch-demokratischen Politik zuwiderlaufen“, betraf. Da derartige Vorwürfe gegen die Zentralstelle aber nicht in aktenkundiger Form erhoben worden sind, darf man annehmen, daß die Angliederung der Zentralstelle an die „Volksbildungsstiftung Sachsen“ deswegen erfolgt ist, weil in diese Stiftung auch alle Familienstiftungen überführt worden sind. Die „Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte“ war zwar keine Familienstiftung, aber wer konnte 1950 dem Ministerium für Volksbildung, das ja sowieso schon seit 1934 für diese Stiftung die Aufsicht hatte, den Unterschied klarmachen? Hohlfeld war am 21.4.1950 in Leipzig nach schwerer Krankheit gestorben.

  

Archivalien 

Bundesarchiv Berlin: Bestand Reichssippenamt R 39, Nr. 63.

 

Universitätsarchiv Leipzig: Personalakte Johannes Hohlfeld.

  

Literatur

   

Hohlfeld, Klaus: Johannes Hohlfeld - Leben und Werk. In: Familie und Volk 3 (1954), S. 148-150.

 

Ribbe, Wolfgang: Genealogie und Zeitgeschichte. Studien zur Institutionalisierung der nationalsozialistischen Arierpolitik. In: Herold-Jahrbuch, N.F. 3 (1998), S.  73-108.

 

Weiss, Volkmar: Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550-1880. Berlin 1993.

Weiss, Volkmar: Die Vorgeschichte des arischen Ahnenpasses. In: Genealogie 50. Jg. (2001), S.417-436, 497-507 und 615-627.

Wermes, Martina, und Volkmar Weiss: Die Bestände der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig. In: Genealogisches Jahrbuch 33/34 (1993/1994), S. 137-156.

  

Erst nach der Endkorrektur dieser Arbeit wurden dem Verfasser die folgenden Arbeiten bekannt, die wertvolle Ergänzungen enthalten:

Lönnecker, Harald: Johannes Hohlfeld (1888-1950) - Deutscher Sänger, Genealoge und Politiker. In: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Studentenforschung 46 (2001), S. 185-226.

Lönnecker, Harald: Deutsches Lied und Politik. Der Sänger Johannes Hohlfeld (1888-1950) - ein unbekannter Aspekt der Biographie eines bedeutenden deutschen Genealogen. Herold-Jahrbuch 7 (2002), S. 153-188.

  

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